Die alte Frau schaltet morgens um 7 Uhr die Maschine ein. Sie ist eigentlich noch nicht zu alt, um zu wissen, was sie tut. Sie ist nicht zu alt, um zu gehen, lachen, träumen und dennoch muss sie Ihre Tagträume vom ersten Sonnenstrahl durch die Bildmaschine ersetzen.
Es flimmert während sie duscht, während sie in der Küche frühstückt, während sie mittagisst, während sie sich zum Schlafen auszieht. Nur der Schlaf löst die Maschine ab. Doch auch hierhin nimmt sie die Bilder für ihre Träume mit.
Maschine und Sessel sind zu den wichtigsten Möbelstücken geworden. Kommt sie vom Einkaufen zurück, schaltet sie zuerst die Maschine ein, noch bevor sie den Mantel ausgezogen und die Taschen abgestellt hat. Schon am frühen Nachmittag lässt sie die Rollladen halb herunter, damit die Sonne nicht hineinschaut und sie beim Sehen in die Ferne stört.
Sie sagt, sie sei so alleine, wenn die Maschine nicht liefe. Doch selbst wenn die wenigen Freundinnen einmal zum Kaffee kommen oder die Enkel auf dem Sofa sitzen, dreht sie ihren Sessel nicht herum, schaltet sie die Maschine nicht ab. „Sie füllt mir den Raum“, sagt die alte Frau.
Die Maschine ist mehr als eine Maschine. Sie hat die Qualität eines redenden Gegenübers, zu der sie die intimste Beziehung entwickelt hat, die sie noch unterhält. Durch die Maschine wird sie noch angesprochen, hier wenden sich ihr noch bildfüllend Gesichter zu. Hier wendet sich ihr überhaupt noch jemand zu. Hier öffnet sich ihr die Welt auf dem Schirm. Hier spielen sich noch Dramen ab. Und hier begegnet ihr noch die Liebe, die sich im Lauf der  Geschichte bei ihr in einen undurchsichtigen Nebel der Sehnsüchte verwandelt hat.
Funktioniert die Maschine einmal nicht, ist das Antennenkabel locker oder die Batterie der Fernbedienung leer, gerät die Frau in Panik, die einer Konfusion gleicht, als würde ihr Sauerstoff entzogen. Der Blutdruck erhöht sich schlagartig und in die sonst fast hypnotisch Ruhiggestellte kommt ungeahntes Leben. Sie läuft ängstlich und verwirrt durch den Raum. Unfähig, das Antennenkabel  wieder festzudrücken, ruft sie den Notdienst an, dessen Telefonnummer sie immer griffbereit hat.
Wenn die Maschine dann wieder läuft, wenn ihr Zwangsritus wieder eingesetzt hat, dämmert wieder dieser sorgenfreie, quasi glückliche Ausdruck ihr Gesicht. Die alte Frau hat einen -alltagskulturellen Zwang zum Hinsehen. Sie sieht und sieht, ohne einmal zu schauen. Sie lebt in der „Unmöglichkeit, nicht zu sehen“ (Paul Virilio)
Dabei sind die Inhalte, die die Maschine der alten Frau präsentiert, austauschbar. Mehrere Stunden monotones Tennis oder Fußball werden ebenso stumm konsumiert wie Werbespots, Nachrichten, Gottesdienste, Spielfilme, Serien,  Ratgebersendungen, Kammermusik oder das Testbild. Und selbst wenn es nur flimmert, wenn sich die Sprache der Bilder aufgelöst hat und in ein bewegtes Rauschen zerflossen ist, lässt sie die Maschine für sich laufen, besteht diese geheimnisvolle Beziehung zwischen ihr und dem Programmkino Welt. Mit oder ohne Programm.
Durch diese Unmöglichkeit nicht zu sehen, ist sie permanent überbelichtet und merkt nicht, wie sehr es in ihr dabei zusehends mehr verdunkelt. Ihr Hirn ist mit Bildern zugestopft, die langsam verfaulen und ihr die letzten Windungen verstopfen. Die Fülle kann sie nicht mehr verarbeiten. Das ständige beredet werden hat sie stumm gemacht. Die Bildflut fast blind. Dennoch kann sie den Blick nicht abwenden, obwohl sie sich auch nicht ganz hinwendet. Sie schwebt in einem elektrooptischen Zwischenraum, der einer Droge gleicht. Dieser Nebel im Rausch der schnellen Bilder ist ihr zur einzig lebbare  Daseinsform geworden.
Die Ritualisierung dieses Zwangsmechanismus in ihrem Alltag hindert sie daran, einmal darüber nachzudenken. Eingeklemmt im Sehzwang hindert sie sich selbst, Alternativen zu entwickeln. Sie vertraut ihr Leben der Bildmaschine an und fühlt sich in dem Theater gut aufgehoben. Da sie sich nicht selbst bewegen muss, bewegt sich langsam gar nichts mehr in ihr und dennoch hat sich durch die bewegten, bewegenden Bilder vor sich selbst das Gefühl, es würde sich noch viel bewegen.
Während sich auf den Straßen die Menschen ihren Mobilmaschinen hingeben, ist sie zur starren Säule geworden, um die die Bilder tanzen. Dieses „optische Vorbeirauschen“  (Paul Virilio) hört nicht mehr auf. Es ist zur Grundbedingung ihres Lebens geworden, zu einer Art Grundrauschen, ohne dass der Raum dunkel ist, die Einsamkeit unerträglich wäre. Durch das Bild-Fenster hat sie das Gefühl, teilzuhaben am Ganzen. Sie fühlt sich geborgen und sicher in dieser Welt zwischen Realität und Fiktion. Grade diese Grenzlinie gibt ihr den Reiz, wie die Grenzlinie zwischen Traum und Wirklichkeit.
Es kann sich immer nur eines bewegen:  Das Bild oder der Betrachter. Bewegen sich beide, wird Wahrnehmung kaum mehr möglich. Die Frau sitzt in ihrem Sessel wie vor einem sich schnell drehenden Glücksrad auf der Kirmes, das sich immerzu dreht, an das man die Glückserwartung eines Gewinns heftet, dessen vorbeirauschende Bilder nicht mehr identifiziert werden können. Und nicht müssen! Und von denen man nicht weiß, dass man nichts gewinnen wird außer den heilsamen Totschlag der unerträglich langen Zeit. Bildgetümmel als Zeitkompressor.
Folgt man Virilio, so erleidet die Frau auf Dauer eine „Enteignung des Blickes“. Ihr wird so nicht nur die verbleibende Lebenszeit ihres folgenden Lebens von morgens bis abends gestohlen, sondern darüber hinaus auch noch ihr Schauen nach draußen, ihr Gespräch mit den Enkeln oder die banale, wichtige Stille des Raumes. Durch die Enteignung des Blickes folgt eine Enteignung ihres Seins. Sie hat sich bereitwillig und gleichsam unbewusst einer fremden Quote übereignet, deren anonymes Teilchen sie geworden ist.
Es ist eine visuelle Verwirrung und Enteignung eingetreten, die von der Frau als das genaue Gegenteil empfunden wird. Das ist das Paradoxe:  Es wird ihr genommen und sie empfindet es als Geschenk. Als Gewinn. Alles geschieht freiwillig, alles geschieht ohne Zwang, oder sollten wir besser sagen: Es geschah freiwillig, es geschah ohne Zwang? Sie selbst setzt die Bildmaschine Tag um Tag in Gang, ohne die sie nicht mehr leben kann. Hier erinnert sie uns an die Nonne, die sich freiwillig und kraft ihrer eigenen Entscheidung dem Kreuz eines langen Klosterlebens unterwirft und gerade diese Enge aus ihrem Glauben heraus als Heil, das Kreuz als Geschenk, den Weg der Entsagung als Gnade empfindet. 
Am Anfang war nicht das Wort, am Anfang war das Bild. Am Ende ist das Bild. Dazwischen nur bewegte Bilder als Labsal des Alltäglichen. Für die Frau ist die Maschine zu einem Gott, das Sehen zu einer Religion bewegter Bilder geworden. Sie pflegt ihre Sehecke wie früher ihre Eltern den kleinen Altar mit Heiligenbildern und Devotionalien. War früher der Rhythmus des Alltags durch religiöse Riten bestimmt, durch Morgengebet oder der Angelus Dei am Mittag, wenn die Bauern auf dem Feld innehielten, so ist es jetzt die Bildmaschine, die der Frau nicht nur Sinngebung sichert, sondern vor allem ihren Alltag rhythmisiert. Sie schaut nicht auf die Uhr, sie erkennt an der Melodie der Serie oder dem Signal der Nachrichtensendungen die Zeit und richtet sich entsprechend ein. Ihre Uhren sind seit langem stehen geblieben, sind sie für die Frau doch zum lästigen Überbleibsel einer alten Zeit geworden.
Durch die Maschine hat für die alte Frau das Wort Glaube eine neue Bedeutung bekommen. Früher hatte sie an den unsichtbaren, großen, allmächtigen Gott geglaubt, der ihr Leben von der Geburt bis zum Tod begleiten würde, vom Anfang bis zum Ende eines jeden Tages. Glaube wurde zu einer sicheren Gewissheit, mit der die alte Frau gut leben konnte. Sakramente, Sünde oder Buße waren ihr zu gesetzten, lebensbestimmenden Größe geworden.  Den Rest erfuhr sie durch Volksweisheiten, Resten elterlichen Vorbilder und einem Allgemeinwissen.
Durch die Maschine muss sie nun nicht mehr an den allmächtigen, allwissenden, allumfassenden unsichtbaren Gott glauben, denn plötzlich hat der Glaube, ja letztendlich auch Gott ein Gesicht bekommen, ist so zu einer noch sichereren Gewissheit und Wahrheit geworden als ihr früherer Glaube. Durch diese „Allwissenheit und Allgegenwärtigkeit“ der Medien sieht der Medienwissenschaftler Norbert Bolz einen „Religionsersatz“.
Hörten früher die Menschen in abgedunkelten Kirchen die Predigten von der Kanzel und gerieten dabei mit halb geöffneten Augen in diesen Zwischenraum zwischen Tran und Traum, schauten alle in eine Richtung, lauschten, ohne hinzuhören, wurden bei der Kommunion oder dem Gebet eins mit dem Allmächtigen, so sind heute alle Schüsseln und Antennen in die Richtung der allmächtigen Ansprachen gerichtet. Die Moderatoren, Anchormen, Talkmasterinnen oder Nachrichtensprecher plappern um den heiligten Gral und geben der alten Frau ebenso das Gefühl teilzuhaben an der großen Gemeinde Welt, ohne eigentlich teilhaben zu müssen. Kommunio  medialis.
Funkzeitungen, in denen der Ablauf steht, gleichen den Gebetbüchern, die die einzelnen Gottesdienste bestimmen. Serienhelden mit ihren Dramen und Liebschaften werden zu emotionalen Bezügen, deren Geschichten sie aufsaugt, als läse sie in der Bibel. Alles, was sie sieht und selbst nicht mehr leben muss oder will, nimmt die alte Frau willkommen als Fremdleben an.
Das Ende einer Serie, das Ende eines liebgewonnenen Schauspielers erzeugt der alten Frau einen Schmerz, als sei ein alter Freund oder heimlicher Geliebter verstorben. Eine Trauer, die nur durch weiteres Hinsehen kompensiert werden kann. Ich sehe, also bin ich. Ich schalte ab, also sterbe ich.
Je mehr sich in dieser Hinwendung der alten Frau das Bild zum Eigentlichen emanzipiert, auch wenn die Inhalte austauschbar sind, umso mehr wird die alte Frau abhängig und entfremdet. Umso weniger bleibt sie sie selbst. Je mehr das Bildmeer ihr als Mehr-Bild eine Gestaltung vorspielt, um so weniger kann sie selbst noch gestalten. Dabei ist sie genügsam in der Fülle der vorbeifliegenden Tempobilder geworden, bescheiden in der Vielfalt. In dem Gefühl, immer mehr zu bekommen, wird sie gleichsam entleert.
Bei all ihren Beziehungen zu den Vorspielern, deren Geschichten sie in ihren Träumen weiter träumt, vereinsamt die alte Frau zusehends, ihr Herz wird irgendwann enger und ihre Hoffnung hat sich dann in das Gegenteil verkehrt.
Einmal kommt die alte Frau ins Krankenhaus. Hier ist sie gut aufgehoben. Hier wird sie von weißen Helfern umsorgt von morgens bis in die Nacht. Hier hat die Frau eine Bettnachbarin als Gesprächspartnerin.
Doch schon am ersten Tag fordert sie: “Schwester, machen Sie die Maschine an!“ Sie wusste nicht wohin mit ihren Augen. Dann endlich haben diese Augen wieder einen sich schnell bewegenden Ruhepol gefunden. Die Maschine flimmert tonlos von der Wand. Zwei Tage dauert es bis die alte Frau merkt, dass es Ohrhörer gibt. Seitdem liegt sie da, die Hörer über dem Kopf und selbst wenn die jüngeren Generationen sie besuchen kommen, schaut sie kaum von der Maschine weg, hört sie kaum hin, weil ihr Mediengott kaum näher zu ihr sprechen kann, als unmittelbar am Ohr. Hier hat sie ein ähnliches Gefühl der Nähe wie damals, als Gott in Form der Hostie während der heiligen Kommunion in sie gekommen ist.
Dann stirbt die alte Frau. Doch nicht an einer körperlichen Krankheit, sondern an einer seelischen. Die jahrelangen Bilder haben der Frau sämtliche Regungen genommen, der letzte Sinn für eine Realität wurde durch das Mehr der bewegten Bilder verwischt, dann aufgelöst. Doch die alte Frau empfindet dabei keine Angst, kein Drama, war sie doch schon lange Teil dieser großen Maschine geworden deren Heilversprechen nicht im Jenseits nach dem Jammertal Erde lagen, sondern in der diesseitigen, täglichen Teilhabe am Ganzen
Man findet sie eines Tages auf ihrem Sessel, während gegenüber die Maschine irgendein Tennismatch überträgt, bei dem sich der Star in die Augen und Herzen der Zuschauer spielt und gewinnt.

Draußen läuten irgendwo Glocken. Aus einer anderen Maschine.

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