DESMOND MORRIS - Sein neues Werk
Wenn einer der größten Zoologen und Verhaltensforscher, der wie kein anderer das Leben von Mensch und Tier so intensiv erforscht und als Autor über 20 Bücher herausgegeben hat (z.B. Weltbestseller wie „Der nackte Affe“), mit 92 Jahren ein Buch über ein völlig anderes Thema, nämlich den Surrealismus, schreibt, darf man gespannt sein.
Doch was viele nicht wissen: Morris selbst war und ist auch Künstler, der bereits 1948 zusammen mit Joan Miró in London ausgestellt hat.
Endlich ist nun auch sein schon in Groß-Britannien 2020 herausgegebene Buch: “Das Leben der Surrealisten“ im Unionsverlag in Deutsch erschienen.
Morris stellt in dem Buch 32 Surrealisten vor, von Francis Bacon bis Dali, Duchamp bis Max Ernst, von Joan Miró bis Pablo Picasso. Spannend dabei ist, dass Morris keine Werkschau bietet oder Bewertungen der Bilder und Skulpturen vornimmt, sondern die Persönlichkeiten hinter den Namen in den Vordergrund rückt. Das gelingt ihm deshalb so gut, weil er in seinem langen Leben ca. 20 Künstlerinnen und Künstler selbst kennengelernt hat und so aus einem breiten Schatz persönlicher Begegnungen schöpfen kann.
Das Buch ist (vom dem Naturwissenschaftler) klar strukturiert aufgebaut, was es dem Leser leichter macht, einen Überblick zu behalten oder selektiv zu lesen. Zu Beginn eröffnet er eine eigene Kategorisierung des Surrealismus in seinen Spielformen wie: „Paradoxaler Surrealismus“, „Atmosphärischer Surrealismus“ Metaphorischer Surrealismus“, Biometrischer Surrealismus“ und „Abstrakter Surrealismus“.
Dann folgen in alphabetischer Reihenfolge die 32 Künstlerbiografien auf jeweils ca. 10 Seiten mit einem Bild des Protagonisten, einem Bild seines oder ihres Werkes und ein kurzer Abstrakt zu den einzelnen Personen, Geburtsdaten, Eltern, Liebschaften usw.
Bereits hier kann man sich entscheiden weiterzulesen, oder zu einem anderen Künstlerporträt zu wechseln.
Morris gelingt es auch aufgrund unzähliger kleinen Geschichten den jeweiligen Künstler, die Künstlerin in seinen oder ihren speziellen Charterzügen herauszuarbeiten, baut auch gelegentlich eigene Erlebnisse mit den Dargestellten ein. Am Ende jeden Porträts hat der Leser das Gefühl, den einzelnen Surrealisten besser kennengelernt zu haben, seine Motive vielleicht besser nachvollziehen zu können, weil sich durch die Lebensgeschichten auch ein neuer Zugang zu den Kunstwerken geschafft werden kann. All das in einer lockeren, humorvollen und gleichwohl tiefgründigen Erzählform, bei dem schon ersichtlich ist, dass Morris einige mehr mag als andere oder einen persönlicheren Zugang zu diesem oder jener hat. Vor allem wird einem klar, wie nach dem ersten Weltkrieg mit seinen düsteren Bildern und blutigen Erfahrungen sich die Künstler aus dem Erlebten ihre eigene, surreale, kreative Geschichten und Bilder zu erfinden. Natürlich auch als Zeichen gegen die „verrottete allgemeine Gesellschaft, auch als Surrealistische Revolution einer „Saubande“ vielfach auch als dekadent (später entartet) beschrieben.
Vor allem in Paris scharten sich die Künstler und Künstlerinnen um den „Diktator“ Francis Bacon, der gemeinhin als „Erfinder des Surrealismus“ durch sein Manifest gilt und der eine sehr klare Vorstellung davon hatte, wer in seinen engeren Kreis durfte und wer nicht. Jeder vorgestellte Künstler wird auch in seiner Beziehung zu diesem Künstlerkader gestellt aus dem viele ausgebrochen sind, um sich frei als Surrealist bewegen und selbstbestimmt kreativ sein zu können.
Das eigentlich Spannende ist, dass es völlig unterschiedliche Charaktere sind, die ihre nicht realen Fantasien und Ideen auf die Leinwand bringen.
Da sind zum einen die Dekadenten, die die Kulturszene, völlig neu aufgebrochenen haben, der freien Liebe frönend, vielfältigste Liebes und Sexualformen als Grundvoraussetzung ihrer kreativen Schaffenskraft brauchten. Diesem Bereich widmet sich Morris sehr ausführlich, manchmal etwas zu intim. Hier sind vor allem der ständig masturbierende Dali, dann Max Ernst, Pablo Picasso oder auch die extraordinäre, exaltierte Leonoras Carringon zu nennen.
Neben diesen, vielfach auch in ärmlichen Verhältnissen lebenden Künstler und Küsterinnen gab es auch solche aus der bürgerlichen Mitte oder gesellschaftlichen Oberschicht, die ebenso wunderbare Werke geschaffen haben. Allen voran der vornehme, distinguierte doch gleichsam rebellische Miró, dann Marcel Duchant oder Hans Arp, einer der „Schlüsselfiguren des Surrealismus“
Das ist das eigentlich Spannende an diesem Buch: Man bekommt einen neuen Zugang zu den Spielformen des Surrealismus durch die so persönlichen Geschichten. Das wird dazu führen, dass man die nächste Ausstellung den Surrealismus mit anderen Augen sehen wird, weil man hinter den Werken auch die schaffenden Persönlichkeiten sieht und so die Objekte besser versteht und bewertet.
Text: Michael Troesser / Alle Bilder Zitate aus dem vorgestellten Werk
Desmond Morris / Das Leben der Surrealisten / Unionsverlag 2020 / IBN 978-293-00556-3
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