Älterer Moderator erkennt plötzlich die Endlichkeit des Daseins

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Es ist schwer, das Buch “Die ganze Scheiße mit der Zeit” (2020) von Hubertus Meyer-Burckhard einzuordnen. Er selbst schreibt, diese knapp 190 Seiten seien kein Roman, keine Biografie, keine Erzählung, ja was ist es denn dann? Es mutet eher an wie ein Gespräch mit den Lesenden, die er immer wieder in dem Buch persönlich anspricht („Ich gehe auf Lesetour und komme sicherlich auch bei Ihnen vorbei. Falls ich Sie doch enttäuscht haben sollte, geht der Wein auf mich…“) oder plötzlich aktuelle Situationen während des Schreibens in den Text mit einbezieht. Und sprechen kann er gut, schließlich ist er seit Jahren – neben seinen anderen Tätigkeiten im Medienbereich – erfolgreicher Moderator der NDR Talkshow am Freitagabend. Viele kennen das Gesicht des immer freundlichen, neugierigen, gepflegten älteren Herrn an der Seite z.B. von Barbara Schöneberger.

Schon zu Beginn fragt man sich, warum ausgerechnet ein weiteres Werk zum Thema ZEIT nötig ist – neben den unzähligen Büchern über das Phänomen Zeit, über das seit Anbeginn der Menschheit nachgedacht, philosophiert, geforscht, geschrieben wird. Der Autor entdeckt das Jetzt der Zeit (Untertitel des Buches: “Meine Entdeckung des Jetzt“), als sei dies eine neue Erkenntnis. Vielleicht tatsächlich für ihn.

Das Buch ist vor allem einer kleinen schwarzen Kladde zu verdanken, in die der Autor (der kein Tagebuch schreibt) seit über 40 Jahren Zitate sammelt, von alten Volksweisheiten bis zu Sprüchen großer Geister. In dem Buch sind gefühlt hundert solcher Zitate verarbeitet und bilden den gedanklichen Leitfaden wie eine inhaltliche Schatztruhe, aus der der Autor immer wieder schöpft.

Der zweite wichtige Grund und Auslöser des Buches sind „Kafka und Shaw“, beides stellvertretende Namen für zwei plötzlich aufgetauchte Karzinome, von denen er ausgerechnet am Geburtstag seiner Frau während einer Trauerfeier, als ihm der Arzt der Uniklinik Hamburg das Ergebnis der Gewebeprobe am Telefon mitteilt, erfährt: „Zwei Karzinome haben sich bei mir dem Nichtraucher eingenistet. Im Zuge einer Routineuntersuchung ist das herausgekommen.“ Doch sie lassen noch keine „Tötungsabsichten erkennen“. Natürlich ist das subjektiv immer ein Drama und Schock, doch das passiert täglich tausendfach und die Dramatik, die Meyer-Burckhard hier nutzt, hätte ein solches Szenario nicht nötig gehabt, um sich als Krebsleidender zu outen.

Angestoßen durch diese neue Empfindung von Endlichkeit folgen viele Seiten in die Vergangenheit, seine Kindheit, die Mutter,  Opa, die Studien, die 68-er und und: “Mehr denn je bin ich mir heute darüber im Klaren, dass mein frühes Wissen um die Endlichkeit des Lebens, um die Begrenztheit des irdischen Daseins zu einem besonderes ausgeprägten Freiheitsgefühl und Freiheitsbedürfnis geführt hat“ und schließlich fühlt er sich unsterblich, wenn er frei ist. Welche phänomenale Erkenntnis!

Als Beispiele für diese Freiheit berichtet er von seinen vielen Stationen in der Welt( „Zwischen 1977 und 1993 wechselte ich achtmal die Stadt“ ), seinen kosmopolitischen Gefühlen ( „Heimat ist da, wo ich nicht sein möchte“ ) oder seine tiefen Empfindungen in Waldlichtungen ( „Dem Wald vertraue ich mich an, im Wald führe ich Dialoge mit mir selbst…“ ). Ständig begegnen wir seinen unzähligen prominenten Weggefährten, die einen irgendwann wirklich nicht mehr interessieren.

Ähnlich der zur Hilfe gerufenen Zitate ereilen den Lesern immer wieder ganzseitige, kernige Merksätze des Autors wie: “Seitdem ich glücklich bin, bin ich häufiger traurig“, die tiefgreifende Erkenntnis: “Die Lebenden von heute sind die Toten von morgen“ oder „Eine Affäre mit dem Jetzt“ und “Je älter man wird, um so erotischer empfindet man die Langsamkeit“ – um nur einige zu nennen. Zwischendurch erfährt man von der Weisheit des alten Fischers auf Mallorca, wo Meyer-Burckhard sich auf sein Haus zurückziehen kann, natürlich abseits der Touristenströme, um über die Entdeckung der Langsamkeit nachzudenken.

An den Stellen, an denen es wirklich spannend und persönlich hätte werden können, bleibt es bei Andeutungen wie über seine erkrankte Tochter,(„Ich trage dazu bei, dass genügend Geld für solche Einrichtungen gesammelt wird…das bin ich meiner Tochter schuldig“) oder seiner eigenen Therapie, für die er nur einen Hinweis übrig hat.

Und am Ende wieder die banale, tausendfach beschriebene  Erkenntnis, dass einen die Leute auf der Straße nicht mehr mit den gleichen Blicken ansehen wie vor Jahren oder dass Barbara Schönefelder nach langer Zeit der Freundschaft und Zusammenarbeit sagt „dass sie, wenn wir nicht einmal miteinander ins Bett gingen, sie nicht mehr wolle und ich nicht mehr könne“. Da fallen die bemühten Leitsätze über die Zeit auf Büttenredenwitzniveau ab.

Zugegeben, ich mag den Autor und war neugierig, was der ältere Herr mit dem etwas eigenartigen Titel des Buches:“ Diese ganze Scheiße mit der Zeit“ wohl meint, unabhängig davon, dass dieser etwas vulgäre Titel eigentlich nicht zu dem sonst so bedachten, stilvollen TV Moderator passt. Allerdings wurden meine Erwartungen enttäuscht. Ich habe das Buch an einem Nachmittag ausgelesen und war irgendwann gelangweilt von den Redundanzen wie der Langsamkeit, dem Carpe Diem, Kafka und Shaw. Er soll weiterhin seine erstklassige Talkshow im NDR machen, oder auch Romane schreiben (habe noch keinen von ihm gelesen, sollte vielleicht nun anfangen) oder Filme produzieren. Jedenfalls wünsche ich ihm gute Besserung, hoffe, dass Kafka und Shaw ihn noch lange eingekapselt zufrieden lassen und ein angenehmes Leben mit seiner Frau Dorothea, der er das Buch gewidmet hat.

Interessant wäre zu erfahren, ob ein Verlag dieses recht einfache Buch auch veröffentlicht hätte, wenn er nicht diesen Prominentenstatus hätte.

Die ganze Scheiße mit der Zeit                                                      Meine Entdeckung des Jetzt                                                           Hubertus Meyer-Burckhardt                                                         Verlag Gräfe und Unzer                                                                   ISBN 978-3-8338-7037-8                                                                 € 19,99

Die ganze Scheiße mit der Zeit                                                                                                                 Meine Entdeckung des Jetzt                                                                                                          Hubertus Meyer-Burckhardt                                                                                                              Verlag Gräfe und Unzer                                                                                                                        ISBN 978-3-8338-7037-8                                                                                                                           € 19,99        


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