Bildgewordene Neurosen

Richaerd W. Eichler - 1960

Die Frage, was ist die reine, wahre, vollkommene, ewige, perfekte, richtige, ästhetische, moderne, alte usw. Kunst in Abgrenzung zu dekorativer Kunst, Hobbykunst, Kitsch usw. ist bis heute relevant und führt immer wieder zu heftigen Diskussionen und Abgrenzungsversuchen bis hinein in die Politik. Im Nationalsozialismus hat man durch die Ausstellung „Entartete Kunst“ versucht, hier eine eindeutige Linie zu ziehen, wobei es vor allem um eine Abgrenzung zwischen der traditionellen Kunst (der Art entsprechenden) und der modernen, abstrakten Kunst ging. Unzählige Künstler und ihre Werke von Barlach bis Chagall, Kandinsky bis Klee von Pankok bis Picasso wurden diffamiert. Viele Künstler und Künstlerinnen flohen in andere Länder, tausende Bilder und Skulpturen wurden vernichtet.

Inhaltlich ging es hierbei vor allem um „abstrakte“ Kunst, bei der Künstler sich Stück für Stück von der traditionellen, Jahrhunderte alten „akademischen Malerei“ trennten, d.h. den mutigen Schritt wagten, sich in den Werken von der Wiedergabe der realen Welt zu verabschieden. Im Kern ging und geht es darum, der inneren Gefühlswelt mit Pinsel und Leinwand eine äußere Form zu geben und dadurch neue, individuelle, von Betrachtenden oft unverstandene Wirklichkeiten zu schaffen. Einer der ersten, der erstmals diesen Weg zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschritt (und durch eine Schrift „Über das geistige in der Kunst“ intellektuell zu erklären versuchte) war Wassily Kandinsky.

Der Neubeginn der Kunst nach 1945 begann im gespaltenen Deutschland komplizierter, als man hätte denken können. Es kam nicht zu einem schnellen Durchbruch ins „Moderne“ sondern zu einer Spaltung zwischen avantgardistischen Bewegungen im Westen und traditionellen Vorgaben im Osten, so verkündete Walter Ulbricht 1951 vor der Volkskammer der DDR: „Ich möchte keine abstrakten Bilder mehr sehen. Wir brauchen weder Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Eiern. Die Grau-in-Grau-Malerei, ist ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs“.

Doch was viele nicht wissen ist, dass es auch im Westen trotz Kubismus, Dadaismus, Surrealismus oder Nihilismus eine heftige Gegenbewegung zu jeder neuen Form moderner Kunstrichtungen gab.

Einer der größten und schärfsten Kritiker war der in der Tschechoslowakei 1921 geborene Richard Wenzel Eichler. Mit seinem 1959 erstmals erschienenen, vielfach beachteten Buch: “könner, künstler scharlachtane“ ging er mit allen, von ihm so bezeichneten “-ismen“ und den entsprechenden Künstlerinnen und Künstlern hart ins Gericht.

Allerdings schlägt er dabei einen großen Bogen. Die erste Hälfte der 300 Seiten und 150 Bildern trägt die Überschrift: “Könner und Künstler“. Hier liefert er eine ausführliche kunsthistorische Abhandlung von der Eiszeit und den Naturvölkern, dem Zwischenstromland, der Kunst Chinas, Indiens, Byzanz und Germaniens bis hin zu den großen Auftraggebern (Kirche, Fürsten, Bürger) und schließlich zur Gegenwart und ihrer Museen („Die Modernismen als Strandgut des 19. Jahrhunderts“). Jedem Zeitalter ordnet er entsprechende technische und künstlerische Besonderheiten zu, zeigt die hervorstechenden Merkmale des jeweiligen Kunstteils auf und schwelt in der hohen künstlerischen, die Ewigkeit überdauernden Vollkommenheit z.B. eines Dürer, Botticelli, Holbein, Rubens oder Rembrandt. Viele dieser historischen Darstellungen sind sauber recherchiert, enden aber letztendlich immer in der Kopplung von „Kunst als Können“, meist als Auftrag von Kirche und Adel an die entsprechenden Künstler, die mit hohem malerischen Können das so gut umzusetzen hatten, was sich die Auftraggeber vorstellten.

In der zweiten Hälfte des Buches mit dem Übertitel: „Scharlatane“ wird es spannend. Denn ab jetzt geht es um: “Jene Afterkunst der Gegenwart, die sich seit fünfzig Jahren ungeachtet ihrer rettungslosen Stagnation penetrant modern nennt, hat sekundäre Merkmale historischer Stile entwendet, aufgebauscht und zu ihrer stilistischen Eigenart erklärt.“ Harter Tabak, vor allem auch in der zusammenfassenden Eingangsbemerkung: „Als die Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts ausgeschöpft waren, traten die Modernismen als deren Bodensatz in Erscheinung. Wenn die Flut abläuft, bleibt der Schlick zurück“. (!)

Die zentrale These des Künstlers als Scharlatan ist seine „Kunst als Seelenkrankheit“.

„Was für einen Sinn haben nun die Bilder und Zeichnungen für den Künstler?

1.Den der unmittelbaren Triebbefriedigung. Die Haß- Rachephantasien des Malers können sich – ohne ernstliche soziale Folgen – in den Bildern ausleben.

2. Die verdrängten Wünsche des Patienten finden ihre Erfüllung in Zeichnungen. So stellen Triebbefriedigung und Wunscherfüllung den unmittelbaren Sinn der künstlerischen Produktion

3.Durch die Objektivierung erfolgt auch eine Sozialisierung der Triebwelt, der Patient wird nicht zum Verbrecher, sondern Maler.“

Diese „Selbstbefriedigung der Schaffenden“, bei der die Kunst „verweltlicht“ wird, führt für Eichler zwangsläufig zu einer Neurose: „Je weniger Zugang zur Wirklichkeit, um so stärker wird der Drang, zurück in den Mutterschoß zu gelangen“. Aus dieser „Regression“ werden die Bilder zur „Generalbeichte, zur Selbstentblößung, die Realität wird entwertet, das Ich überbesetzt.“. Im Anschluss hieran holt der Autor noch weiter aus und widmet sich in dem Zusammenhang den „Muffigen sexuellen Andeutungen“, die er vor allem bei Dali ortet: “Es ist kaum Zufall, daß diese Archaik der Symbole vorwiegend um das Männliche in den immer wieder auftauchenden Türmen, Schornsteinen…und das Weibliche in den dunklen Höfen, Gängen, Brunnen…geht.“ Für ihn sind die „Exzesse der Moderne sichtbar gewordene Eiter an einer tiefliegenden Wunde“. Viele, einzeln benannte Künstler (meist Männer!) beschreibt er als seelisch Kranke mit schizophrenen Störungen:“Auch Picasso macht keine Ausnahme. Er ist einwandfrei ein Arterioklerotiker mit einem überhöhten Blutdruck!“

In einzelnen Kapiteln nimmt er sich dann z.B. „Die Zerschlagung des Kubismus“ vor, “den seelischen Bodensatz im Surrealismus“, „Das Sinnierertum der Konstruktivisten“, „Die Gegenstandlosen zwischen Nihilismus und Dekoration“, den „Harlekin Picasso“ oder „Von der Ananrchie zu neuen Dogmen“. Es ist unmöglich, all die abstrusen Zusammenhänge, Beleidigungen und Entwertungen der modernen Kunstrichtungen zu nennen, die Eichler hier zusammengestellt hat. Später widmet er sich noch der Fotografie, Musik, Werbung und besonders dem Schreiben („Der Durchfall modernistischer Dichtkunst“).

Spannend wird es noch einmal am Ende, wo er sich um politische Einordnung bemüht, Adorno und Gehlen kritisiert und schließlich Arno Breker, Hitlers liebsten Künstler, rehabilitiert: „Kunst kommt von Können, und Arno Breker konnte schon was, bevor man ihn aus Paris wieder nach Deutschland holte…statt dessen regt sich Herr Peters über einen Führerbalkon auf. Balkone hat es schon Jahrhunderte vor Hitler gegeben, aber anscheinend dürfen wir keine Steinbalkone mehr bauen, solange noch das unselige Andenken an den Mann vorhanden ist, der auf einem ähnlichen Gebilde erstmals in Berlin oder München gestanden hat. Welch eine Kleingeisterei!“

Nach einem Exkurs zu dem ach so beeinflussten Rundfunk, der gefährdeten Jugend und der Kirche als zentralen Auftraggeber der die Zeit überdauernden Kunst, gibt er am Ende noch einen praktischen Ratschlag: “Als Wichtigstes jedoch. Statt die Kunstförderung wie bisher bürokratisierten, anonymen Zirkeln zu überlassen, sollte der Staat alles daransetzen, den einzig natürlichen Zustand wieder herzustellen, nämlich breite Kreise als Auftraggeber des Kunstschaffenden der Gegenwart zu gewinnen; an die Stelle eines veralteten Kunstbetriebes und geistiger Bevormundung wieder die unmittelbare Beziehung Künstler – Volk zu setzen. Wenn dies nicht gelingt, wird es bald zur Umkehrung eines alten Übels in ein neues, folgenschweres kommen: während bisher nicht selten ein Genie am Unverständnis des Publikums litt, wird nun ein aufgeschlossenes Publikum den Nichtskönnern zum Opfer fallen“.

Wer nun glaubt,all dies seien längst überwundene Entgleisungen der Vergangenheit und die Thesen zur artgerechten Kunst seinen von gestern, täuscht sich.

Die Fortsetzung zentraler Merkmale des Buchs „könner, künstler scharlatane“ ist Top-Aktuell.

Im Mai 2019 formulierte Martin Renner, medienpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, es wie folgt: „Kunst kommt von Können, sagt bereits der Volksmund. Wenn Kultur Werte und Identität stiftet und als Brückenbauer in der Gesellschaft agieren soll, kann sie nicht nach dem Tombola-Prinzip gefördert werden. Kunst (…) muss immer einer Beliebigkeit vorbauen, weil in der Maske der Kunst Kitsch und Propaganda um nichts weiter als um Geld buhlen.“ Im Grundsatzprogramm der Afd geht es im Bereich Kultur um „positive, identitätsstiftende Aspekte – oder bei der Sprachpflege: bloß nicht so viel Englisch und nicht mehr „gendern“.

Es gibt zahllose Anfragen und Einschätzungen der AFD zur Kulturpolitik oder einzelnen Kunstaktionen an die Länder, Städte und Gemeinden. Hier nur ein Beispiel:  „Zurzeit spielt das Neue Theater in Halle ,Angst essen Seele auf’, eigentlich ein Film der 68er-Ikone Fassbinder. ,Angst essen Seele auf’ ist die bizarre Liebesgeschichte zwischen einem Marokkaner und einer 25 Jahre älteren deutschen Putzfrau. Wer bitte schön will solche Abwegigkeiten sehen? – Hinfort damit!Hans Thomas Tillschneider, Kulturpolitischer Sprecher der AfD Sachsen-Anhalt..

Zahlreiche solcher Beispiele hat die Süddeutsche Zeitung detailliert zusammengetragen.

https://www.sueddeutsche.de/kultur/afd-kulturpolitik-rechtsextremismus-gewalt-1.4578106

Kommt einem alles ein wenig bekannt vor: Kultur darf nur schön, wahr und gut sein, der Art-gerechten Form entsprechen. Alles andere ist eben ent-artete Kunst. Da schließt sich der Kreis und es bleibt das auf der Strecke, was Pascal Mercier so treffend formuliert: “Die Phantasie ist der eigentliche Ort der eigentliche Ort der Freiheit”/ Das Gewicht der Worte / Seite 556 

Das Buch „könner künstler scharlatane“ hat nach seiner Veröffentlichung zu Beginn der 60er Jahre große Beachtung gefunden und unzählige positive Besprechungen in Zeitungen, Zeitschriften und Radio erhalten. Weitere Informationen zum Auto entnehmen Sie bitte wikipedia.

Weitere Bücher des Autors Eichler:

  • Könner, Künstler, Scharlatane (1960)

  • Künstler und Werke (1962)

  • Der gesteuerte Kunstverfall (1965)

  • Die tätowierte Muse. Eine Kunstgeschichte in Karikaturen (1965)

  • Liebenau im Sudetenland (1966)

  • Liebenau im Sudetenland. Nachtrag: Einige namhafte Liebenauer (1968)

  • Viel Gunst für schlechte Kunst (1968)

  • Verhexte Muttersprache (1974)

  • Die Wiederkehr des Schönen (1984)

  • Unser Geisteserbe (1995)

  • Baukultur gegen Formzerstörung (1999)

Text: Michael Troesser

Bild- und Textzitate: „könner, künstler, scharlatane“, R.W.Eichler

Kategorien: AllgemeinBücherKunst

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