Generation Greta

Und der innere Schweinehund

  

                                                                                          

In den Hochburgen des Plastikkonsums, der Drogeriekette ROSSMANN, liegt prominent vorne im Regal, an dem jeder vorbeikommen muss, der Spiegelbestseller “Der neunte Arm des Oktopus”, des Milliardärs Dirk Rossmann. Die als Thriller aufgemachte Geschichte, aus der fiktionalen Perspektive von 2100 erzählt, soll ein Weckruf sein, dass es so nicht weitergehen kann. Genau. Also ist auch dort zwischen all den Seifenspendern und Nahrungsergänzungsmitteln das Thema schon angekommen.

Oder im ALDI-Katalog, wo bereits eine “Fair& Gut” Seite “für mehr Tierwohl” eingefügt ist, friedlich neben weiteren 39 Seiten z.B. mit dem “Gemischten Hackfleisch, XXL” für 3,99€, den  „Kulturheilbeeren aus Chile“ und weiteren Leckereien. Zumindest ein Anfang.

Oder im Verkehr: Im letzten Jahr sind so viele E-Autos verkauft worden, wie nie zuvor. Sie stehen im Autohaus neben den SUV-Boliden und suchen ihre bewusste Käuferschaft, die sich über den Bonus freut. Und das E im Nummernschild hat inzwischen auch Elon Musk mit seinem Tesla zum reichsten Menschen der Welt gemacht, der jetzt plant, tausende Touristen ins All zu schicken, ganz umweltfreundlich natürlich.  Auch der gute alte Flohmarkt und die Kleiderbörse, früher vielfach belächelt und lange Konsumort des Prekariats, ist inzwischen gesellschaftsfähig geworden und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Secondhand-und Vintageshops boomen und die H&M oder Esprit Zielgruppe kommt so nicht nur zu besseren Klamotten, sondern kann auch „das schlechte Gewissen“ 1)beruhigen. Übrigens haben auch Marken wie Gucci den Trend erkannt und sind auf dem oldschool Trip als neue Moderichtung (vielleicht fällt ihnen aber auch nichts anderes ein).

Das sind nur einige wenige Beispiele dafür, dass Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit für viele „trendy“ ist. Inzwischen sind auch neuen Vokabeln wie, Co2 (früher: aus dem Chemieunterricht?), Umweltbewusstsein, Öko, Klimaerwärmung, Kerosin, Benzin usw langsam in den Köpfen (bei einigen Wenigen auch in den Herzen und Händen) angekommen. Aber meistens bleiben sie nur in den Köpfen, zumal bei der verwöhnten Generation-Nachkrieg, die einen besonderen Nachholbedarf hat.

Natürlich weinen wir (zumindest gefühlt) jedem Tropfen Eis am Pol hinterher, der schmilzt und ekeln uns vor den Bildern der Tierhaltung wie bei Tönnies, essen aber fröhlich weiter ebendiese Tiere. Seit Jahren trennen wir brav den Müll, haben zum großen Teil das Rauchen im Griff und achten bei jeder Mietwohnung, bei jedem Haus auf den Energiepass. Doch was bewusster, nachhaltiger Umweltschutz  konkret alles noch bedeutet, ist für viele eher im Nebel des unwissenden Verdrängens, weit weg, meist viel zu kompliziert und noch nicht im Wohnzimmer, der eigenen Küche, im eigenen Alltagshandeln angekommen. Das zeigt die gesamte Ambivalenz des Themas auf.

Wir befinden uns in einer tiefen Umwandlung des Bewusstseins, die es bezogen auf so viele Bereiche noch nie gegeben hat. Ob in Politik, Industrie, Kommunikation, Arbeitswelt, Mobilität, Stadtentwicklung bis hin zur Erziehung, um nur einiges zu nennen. Alle Ebenen der Alltagskultur sind von diesem grundlegenden Wandlungsprozess betroffen und fordern viel von den Menschen ab. Vor allem, weil es hier auch um einen Generationskonflikt geht: Alt gehen jung. Gegenwart gegen Zukunft. Überfluss gegen sinnvollen Fluss. Wegwerfen gegen Nachhaltigkeit usw.

Solche umfassenden, wirklich jeden Menschen betreffende Wandel sind nie ohne Konflikte, Ängste und Polarisierung möglich. Liebgewonnene, erfolgreiche Alltagsroutinen einer Generation-Nachkrieg, die Hafermilch nicht mag, weil sie im Kaffeautomaten nicht schäumt und trotz aller Co2 Emission das Heimelige eines Kaminfeuers nicht missen möchte, werden plötzlich in Frage gestellt. Menschen, die das dumpfe Blubbern ihres Porsche seit 50 Jahren goutieren, sollen nun auf leise dahingleitende Autocooter umsteigen und homeoffice soll zum großen Teil den liebgewonnen Flurfunk und die heimlichen, kribbelnden Blicke der Kolleginnen und Kollegen im Büro ersetzen. Ist doch klar, dass all dies zu einem klassischen Double-Bind führt, in dem man plötzlich zwischen seinen eigenen primären und sekundären Bedürfnisse steht und es schwer fällt, sich für diese oder jene zu entscheiden. Zwischen Lust und Vernunft. Zwischen Gewissen und Gewohnheit. Und zwar ständig.

Ist doch klar, dass sich hier immer wieder der tägliche Schweinehund meldet, der einem wie so oft leicht als Entschuldigung diente und dient. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und hat es oft schwer, über seinen Schatten der Selbstzufriedenheit zu springen, selbst wenn er die Botschaften einer Symbolfigur wie Greta begreift. Da hat es die junge Generation leichter. Sie kann – wenn auch aus der Not heraus geboren – etwas bewegen, was man neudeutsch  startup-Zukunft nennen könnte. Der Start in eine Welt, die endlich eine andere ist als die, die zu einem Kollaps führt, wenn wir nicht jetzt handeln und aus Vokabeln Taten machen. Keiner möchte in einem Drecksloch leben, das Andere, Frühere ihm überlassen haben.

Über diesen Wandel, den Treibhauseffekt, die Zukunft und allem, was damit zusammenhängt, ist unendlich viel geschrieben worden, hat jede Buchhandlung inzwischen ihren Sondertisch. Jede Zeitschrift, hat x-mal darüber berichtet und manchmal wird man schon müde ob all dieser erhobenen Zeigefinger, Zukunftsszenarien und Vorwürfe (obwohl man natürlich nie genug darüber reflektieren kann und muss).

Bei all den Bergen von Blättern auf den Sondertischen fällt ein kleiner Band besonders auf, der eher schlicht daherkommt und durch seine bunte Aufmachung, Titel und Grafiken neugierig macht. Er ist 2020 bei GU erschienen, ist von einer jungen Journalistin, Julia Felicitas Allmann, geschrieben, die sich auf die Themen, Ernährung und Nachhaltigkeit spezialisiert hat: “Jeden Tag die Welt retten – wie wir mit 66 Alltagsentscheidungen die Erde zu einem besseren Ort machen“.

Natürlich kann man mit 66 Alltagsentscheidungen die Welt nicht retten und die Zahl 66 ist eher als netter Opener gedacht denn als ernsthafter Vorschlag. Wichtiger ist die Unterzeile, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, denn das wollen wir alle und nicht nur als Trend. Allmanns Credo: „Nachhaltig leben leicht gemacht: 66 klare Antworten auf komplizierte Alltagsfragen“.

Ihr geht es hier nicht um das große Ganze, sondern um den konkreten Transfer der genannten Vokabeln in unser Alltagshandeln durch die kleinen Dinge, die ja in Summe oft Besseres bewirken als das große Ganze. Ihr geht es darum, komplexe Zusammenhänge so begreifbar zu machen, dass sie ohne große Angänge und Zusatzmotivationen im Alltag umsetzbar sind. Und das in einer frischen und ansprechenden Form, sowohl von der präzisen Diktion bis zu den ausgezeichneten Grafiken, die das Buch neben dem Inhalt bereichern und noch wertiger machen.

Obwohl die Autorin sich Ernährung auf die Fahnen geschrieben hat, fällt beim ersten Betrachten der Themenbereiche positiv auf, dass es bei den Weltrettern eben nicht nur um Ernährung ( „Wie Weltretter essen und trinken“) sondern auf den 144 Seiten ebenso um Themen wie Konsum: Was und wie Weltretter einkaufen, “Haushalt: Wie Weltretter zu Hause leben“ und „Auswärts: Wie Weltretter unterwegs sind“ geht.

Genau das ist eines der wichtigsten Merkmale des Buches, das sich eben nicht alleine an die Zielgruppe richtet, die Umweltbewusstsein hauptsächlich mit Ernährung assoziiert, sondern auch solche Menschen anspricht, die eher technisch interessiert sind und z.B. wissen wollen, ob E-Bike oder bahnfahren besser ist, WLAN oder mobile Daten, Desktop-PC oder Notebook, Streichhölzer oder Feuerzeug. Wo hat man so etwas schon einmal gelesen, wann hat man schon einmal darüber nachgedacht? Wer hat einem solche Fragen schon einmal ernsthaft und verständlich erklärt als Hilfe für Entscheidungen?

Die Autorin nennt ihr Buch treffend einen „Selbstbedienungsladen zur Weltverbesserung“, in dem sich der Leser und die Leserin ein Programm zusammenstellen kann, um mit einem „guten Gewissen durch den Tag zu gehen“ (Was natürlich im Gegenschluss bedeutet, dass man tatsächlich ein schlechtes Gewissen hat oder hatte).

Es ist ein Überraschungsbuch insofern, dass man über viele Sachen erfährt, bei denen man zwar vermutet, wie es ausgeht, weil man „irgendwie weiß“ dass frisches Gemüse besser und nachhaltiger ist, als tiefgefroren. Doch durch die wirklich außergewöhnlich exakte Recherche dann doch nachdenklich wird, wenn man z.B. erfährt, dass pro Kilo Avocados 1000 Liter Wasser benötigt wird, das aus den Flüssen abgezwackt wird, obwohl es woanders wichtiger gebraucht wird.

Die Themen sind nicht überlastet, sondern knapp und präzise formuliert und bei jedem einzelnen Kapitel gibt es – farblich abgesetzt und sofort erkennbar – kurze Einschübe wie „Gut zu wissen“, „Tipps“ und „Kurz gesagt“ als schnelle Happen zum Behalten im Kopf.

Das Buch ist für beide Generationen gedacht: Sowohl für diejenigen, die in ihrem Traditionsdoublebind Orientierungshilfe suchen, um zumindest Stück für Stück nicht nur das schlechte Gewissen zu beruhigen, sondern sich aktiv am Prozess der Zukunftsbewältigung beteiligen wollen (Auch wenn sie dann vielleicht nicht mehr leben) und für die Generation, die schon heute auf dem Weg in ihre eigene Zukunft ist und hier Anregungen, Tipps und Erklärungen bekommen, was die tun müssen, um eines Tages eine bessere Welt zu haben.

Ob allerdings auch mit den vielen  Erklärungen und Hinweisen der eigene Schweinehund immer wieder überwunden werden kann, sei dahingestellt und jedem Einzelnen überlassen. Eines aber ist sicher: Wissen frisst Angst. Argumente lösen Konflikte. Und wenn diese (Zukunft)Angst und die Konflikte sowohl bei Generation-Greta als auch Generation-Nachkrieg ein wenig gelindert werden können zugunsten einer besseren Welt, haben sich die 9 € für das Buch mehr als gelohnt.

1) DIE ZEIT / Nr. 2/7.1.2021 /Seite 23

Julia Felicitas Allmann „Jeden Tag die Welt retten – Wie wir mit 66 Alltagsentscheidungen die Erde zu einem besseren Ort machen“ 144 Seiten, Erschienen bei Gräfe und Unzer Verlag, 2020, ISBN 978-3-8338-7358-4 / 9,00€ auf PEFC-zertifiziertem Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft gedruckt.

 


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