Weltklasse-Akrobatik mit wenig Poesie
Wer solche wunderbaren, meist recht teuren Veranstaltungen auf der Grenzlinie zwischen Zirkus und Show, Traum und Trambulin kennt wie Cirque du Soleil kann einen weiteren Abend kaum erwarten.
Möchte man doch wieder dieses Gefühl der Poesie erleben, das sich vom gewohnten Zirkus unterscheidet. Nämlich die Seele sanft hin wegzutragen zu lassen in eine andere Welt, eine Verzauberung des Momentes als geheimnisvolle Spannung zwischen dem Erlebten und sich selbst. So erging es sicher über eine Million Zuschauern, die von der neuen Cirque du Soleil Zeltshow „Amaluna“ verzaubert werden wollten. Sie hatte 2012 in Montreal Weltpremiere, kam 2015 nach Europa und gastiert mit seinen 45 Künstlerinnen und Künstlern seit 2016 in Frankfurt und nun bis Ende des Jahres 2016 in Düsseldorf.
Und so erging es auch dem Kurat, der nur noch mit Mühe zwei Karten für einen Dezemberabend im Zelt in Düsseldorf ergattern konnte.
Wenn man dann einmal in dem Zelt ist (übrigens nach Taschen-kontrolle!), fällt einem schon der professionelle Jahrmarktcharakter auf, durch den der Charme eines solchen Zelt-Raumes ein wenig leidet. Zahlreiche Devotionalienstände, Verkleidete, die mit umgehängten Getränkekisten herumlaufen (übrigens eine Miniflasche Wasser 5 €), Werbung auf Bildschirmen usw.
Und genau dieser Charme, Voraussetzung für das Verzaubern der ersten Jahre, geht in der gesamten Veranstaltung ein wenig verloren. Es ist ein Gefühl, als hätte sich eine traumhafte Idee zu einem kommerziellen Unternehmen entwickelt, das immerhin 85 Millionen Dollar gekostet haben soll und 65 Sattelschlepper zum Aufbau benötigt.
Natürlich kann eine Veranstaltung, die hunderte Mal aufgeführt wird, nicht ohne erstklassige Licht und Tontechnik präsentiert werden und natürlich nicht ohne Weltklasse-Akrobaten. Doch grade diese Form der Professionalisierung macht es ein wenig schwer, das Gefühl der frühen Jahre wieder zu erleben.
Zum einen ist es eine recht einfache, fast kitschige Liebesgeschichte, angelehnt an das Shakespearedrama: „Der Sturm“, die schnell erzählt ist: Matrosen stranden auf einem Inselreich der Amazonen – die runde Bühne des Show – wo die Königin Prospera ihre Tochter Miranda mit dem Seemann Romeo vermählen will, immer wieder bedroht von einem Fabelwesen halb Echse, halb Mensch. Am Ende kriegen sich die beiden und das Echsenwesen schaut in die Röhre.
Zum anderen fällt es einem auf den viel zu kleinen Schalensitzen schwer bei den vielen schnellen, ständigen Wechseln von erstklassiger Akrobatik, übrigens wenig neue Elemente, und kurzen Spielszenen eben genau diese Geschichte zu begreifen. Zu laut die Musik der guten Frauenrockband, zu langatmig und überzeichnet die Clownerien zwischendurch, die einen wieder aus dem Ablauf der Liebesgeschichte holen. So ist man ständig hin und hergerissen zwischen Kopf und Bauch, zwischen Geschichte und Zirkus.
Dadurch wundert es einen nicht, dass vor allem eine Szene an dem Abend das Faszinosum des Verzauberns besitzt: Eine Schwebeakrobatin, völlig alleine auf der Bühne, schafft es langsam und konzentriert 13 große einzelne Palmblattrispen zu einem schwebenden Mobile zu formen, das nur durch Gleichgewicht zusammengehalten wird. Schließlich legt sie diese selbstgebaute Schwebes-kulptur auf ihrem blonden Kopf ab und bietet so eine Einheit mit sich und dem Geschaffenen. Sie baut diese Spannung mit solcher Ruhe, Konzentration und atemberaubender Technik fast 10 Minuten auf, dass man trotz der fast 2000 Besucher und Besucherinnen nichts hört, als das leise, verstärkte Atmen der Künstlerin.
Interessanterweise sprechen später alle von diesem einen, kleinen Akt als den Höhepunkt des Abends. Das zeigt einmal wieder, dass es nicht nur auf die lauteste Musik oder die höchsten Sprünge ankommt, sondern auch die kleinen Töne, die einem die Seele zum Schwingen bringen können.
Vielleicht bleibt einem noch eine weitere Szene in Erinnerung, nämlich als die beiden sich liebenden Protagonisten mit ihren Gummikörpern, die sich voller erotischer Bewegungen immer wieder in ein durchsichtiges, kugelförmiges Wasserbecken fallen lassen bis das Wasser spritz und ihnen die Luft ausgeht.
Natürlich verlässt man nach zwei Stunden inklusive 20minütiger Pause das Zeltdorf mit Bildern voller bunter, waghalsiger Sprünge, tollen Kostümen und professionellem Ablauf im Kopf. Aber gleichzeitig sehnt man sich ein wenig zurück nach einem Abend, an dem es weniger Zirkus, weniger Geschichte, nicht so hohe Sprünge und laute Musik gibt, sondern etwas mehr Improvisation und authentischere Akrobaten mit vielleicht weniger Weltklasse.
Vielleicht aber auch ein wenig mehr persönliche Ansprache des Publikums als das etwas hilflose Laufen der Clowns durch die Reihen. Aber das ist sicher nichts mehr als ein veraltete Sehnsucht nach einer Zeit, in der ein solcher Abend ganz ohne Megashow einem noch mitnehmen konnte in die Welt der Magier und Fabelwesen. Aber vielleicht ist man selbst veraltet und begreift die Schnelligkeit und Größe heutiger Megaprofession zu wenig.
C Text und Foto Der Kurat / weitere Bilder aus Presseberichten