Unglaublich, was der Generaldirektor des Museum Kunstpalast in Düsseldorf Beat Wismer  als  Abschiedsgeschenk zusammengetragen hat, nämlich die  Ausstellung: „Hinter dem Vorhang. Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance“, eine einmalige Schau vom Zeigen und Verbergen.

Man macht sich oft nicht klar, wofür ein für uns banaler Gegenstand wie der Vorhang steht oder stehen kann, was er bedeuten kann, welche wichtigen, unterschiedlichen Funktionen er  von Anbeginn bis heute hat und vor allem: Wie er Gegenstand von Kunst war und ist.                

Und das Interessante: Trotz allen Fortschritts haben Alltagsgegenstände wie der Vorhang die gleiche Funktion und Funktionen wie vor über 2000 Jahren. Deshalb ist man auch so angetan von der Ausstellung: Der Vorhang, das Verhüllen und Enthüllen ist uns nicht fremd, sondern ist Teil unseres Alltags, vom Duschvorhang bis zum Verhüllen und Enthüllen des Körpers durch Kleidung.

 

Die 200 Exponate der Gattungen und Epochen übergreifenden Ausstellung sind in zwei große Bereiche unterteilt. Im ersten Teil wird gezeigt, welche vielfältigen Rollen der Vorhang  in der „alten“ Kunst spielte, dargestellt auf vielen prächtigen Bildern großer Künstler seit der Renaissance, für die Ausstellung zusammengetragen aus der ganzen Welt.  Im zweiten Teil schließlich der Vorhang in der modernen Kunst.

Doch bleiben wir erst einmal im Bereich der Vergangenheit. Wir sehen die realistischen Bilder der Künstler seit 500 Jahren und ist einmal mehr überwältigt von der Schaffenskraft und dem malerischen Können der großen Meister. Die ausgewählten Bilder zeigen allesamt Szenen, in denen Vorhänge eine Rolle spielen, erzählen die Geschichte magischer Momente. Das in plastischem Faltenwurf dargestellte, fallende Tuch umrandet, verhüllt oder enthüllt Szenen, Gegenstände, Geschichten – vor allem aber Menschen. So erfüllen Vorhänge unterschiedliche Funktionen, die in der Ausstellung entsprechend unterteilt und in thematische Zusammenhänge gestellt:  Der Vorhang, der im prüden Zeitalter der vorigen Jahrhunderte  die Lust, Leidenschaft  und die entsprechenden Körperteile verhüllt, wird zum Vorhang der Zucht, ermöglicht aber damit dem Betrachter eigentlich eine Enthüllung durch seine eigene Fantasie Der Scham hinter dem Schleier wird die Schau durch pralle Akte vor dem Vorhang ebenso gerecht wie dem Eros des Unsichtbaren.

Der Amerikaner Rhaffaele Peale zeigt in seinem Werk: “Venus Rising from the sea – a Deception“ von 1822 einen schlichten, flächendeckenden, von einer Schnur gehaltenen  Vorhang, bei dem unten ein nackter tänzelnder Frauenfuß gezeigt wird und oben über dem Stoff der entsprechende nackte Arm der Frau. Hier stellt sich zwischen Betrachter und Objekt eine weiße Wollwand, die das zu Zeigende unsichtbar lässt. Wie bei einem abstrakten Bild kann der Betrachter in seiner Vorstellung im Kopf den Vorhang zur Seite schieben.

Ein weiteres Kapitel der Ausstellung ist der Gewalt in zahlreichen, dramatischen Bildern gewidmet, bei der das Verdecken eine wichtige Rolle spielt. Der Betrachter ahnt oder weiß von der Grausamkeit des Unsichtbaren, sein Auge wird aber nicht zugelassen.

Das wichtigste Kapitel ist der Religion gewidmet.  Auch hier spielte (und spielt) das Motiv der Verhüllung und Enthüllung von Anbeginn  bis heute eine wichtige Rolle, ob das Schweißtuch mit dem Abdruck des Jesusgesichtes  oder der in den Fastenwochen vor Ostern verhängte Altarraum. In vielen Religionen ist das Tuch das Symbol für Geheimnis und Teil des Glaubens.

Aus diesem religiösen Kontext stammt auch das wohl wertvollste Stück der Ausstellung, Tizians Portrait des Kardinals Filippo Archinto von 1558, bei dem ein transparenter Vorhang mitten durch das Auge des Kardinals das Bild in zwei Teile teilt. Wo ist die Realität, wo das Abbild? Wo der unsichtbare Gedanke, wo der offene Blick? Wo die nur erahnte Transzendenz, wo die sichtbare Welt? Dieses Werk, Leihgabe des Philadelphia Museum of  Art, ziert auch das Plakat der Ausstellung und hat den Kurator wohl zu dieser opulenten Schau angeregt. 

Eine spannende Variante ist die Funktion des Vorhangs, die eine besondere Nähe zum Objekt auch intensivieren kann, wie das außergewöhnliche Werk von Cornelis Bischopp, der sich auf dem großformatigen Werk als Maler mit Pinsel und Farbe bildfüllend zeigt, der einen hinten ihm fallenden Vorhang nur ein wenig mit der Hand öffnet, um auf das von ihm gemalte  Bild dem Betrachter nur einen kleinen Blick freizugeben. Daran – oder dem Bild im Bild, das durch einen umrahmenden Vorhang zur Doppeldeutung gelangt – sieht man, wie phantasievoll und Humorvoll die alten Meister schon gedacht und gemalt haben. Und wie unterschielich der Vorhang eingesetzt wurde.

 

Der Übergang zu dem zweiten Teil der Ausstellung könnte krasser kaum sein. Während man im Bereich der alter Meister in den halbdunklen Räumen sich in die Bilder und deren Geschichten hineinsehen und – fühlen konnte, trifft das Auge nun auf große, helle Hallen, vielleicht ist das ja auch ein Sinnbild für die Kreativität seit den 60er Jahren: Diese bricht sich seither nicht nur durch Dreidimensionalität, sondern auch durch riesige Bilder Bahn, die z.T. 10mal größer sind als die großformatiges Bilder alter Meister.

Der zweite Teil der Schau zeigt, wie sich der Vorhang, der Schleier, das Verhüllte völlig anders in der modernen Kunst darstellt, wobei die Grundfunktion der verdeckenden, geheimnisvollen Hülle geblieben ist. 

Das,  woran viele von uns bei dem Thema Kunst und Verhüllung denken, ist sicher das Werk von Christo, dem hier ein gesamter Raum gewidmet ist. Im Mittelpunkt der spektakulär verpackte VW Käfer („Wrapped Beetle 1963) des Künstlers, der für die Ausstellung extra nach Düsseldorf gekommen ist.

Die „Fallende Frau, Doppelköpfig“ (2014) von Paloma Varga Weisz, deutsche Künstlerin mit ungarischen Wurzeln und Schülerin von Tony Cragg, schafft sehr handwerkliche, außergewöhnliche Werke, hier das Doppelgesicht eines Kopfes, das im freien Fall auf den Boden zu stürzen scheint, würde es nicht vom Vorhang gehalten und gerettet. Eine beindruckende Arbeit, die Angst macht und Hoffnung gibt gleichermaßen. Durch das Tuch.

 

Auch in diesem frühen Werk von Gerhard Richter „Schwestern“ (Öl auf Leinwand) spielt er mit der Unschärfe auf vorgefundenen scharfen Fotografien. Es ist eines der wenigen erotischen Bilder von Richter aus den 60er Jahren. Es gibt uns das Rätsel auf, ob der Vorhang im Hintergrund die Szene verbergen soll oder eher das Gegenteil. Wir befinden uns auf dieser Seite des Vorhangs, aber wer ist hinter dem Vorhang?

Es sind noch viele zu nennen, die hier dem Öffnen und Verbergen ihre künstlerische Form gegeben haben, wie z.B. Sigmar Polke mit mehreren Werken oder  Shirin Neshat mit „Faceless“ (1994), eine schwarz-weissen Fotoarbeit, bei der eine verschleierte Frau eine Pistole auf den Betrachter richtet.

Wenn man die Ausstellung verlässt, hallen die Vorhänge, Schleier und Hüllen mit Ihren Geheimnissen, Mythen und  Geschichten noch lange in einem nach. Im abendlichen Düsseldorf vor dem Hintergrund der Weihnachtsmärkte und Brücken, wird einem plötzlich bewusst, dass das gesamte Leben ein Enthüllen und Verhüllen ist. Die Geburt öffnet das Fenster zur Welt, enthüllt das Dasein, der Tod schließt den letzten Vorhang hinter einem. Und jeder Augenaufschlag ist letztlich nichts anderes, als ein Öffnen und Schließen, wie ein lebender Vorhang auf die Welt. Oder der Tag, der für uns am Morgen den Schleier der Nacht öffnet und am Abend wieder langsam zusammen zieht.

Aber das eigentlich Größte: Wir wissen nicht, was sich hinter dem Vorhang des gesamten Daseins verbirgt. Wir können das verschleierte Geheimnis des Seins nicht lüften. Es bleibt umhüllt bis zum Ende. Aber wir sind hoffentlich noch so lange wie möglich auf dieser Seite des Vorhangs.

Zuhause angekommen ist eines sicher: Man sieht seinen Duschvorhang plötzlich mit ganz anderen Augen. Und seine Kleidung.

Jedem, der sich einmal  ein wenig auf Geheimnis, Eros und dem Vexierbild des Lebens für eine Stunde einlassen will, sei diese wunderbare Ausstellung empfohlen. Sagt der KuRat, der einmal kurz den Vorhang zur Nachbarstadt hin aufgezogen hat.

Copyright Der KuRat / Text/Bilder                                                                               Ausstellung bis zum 22.Januar 2017