Flügel für die Schwere des Daseins

Die kleine Amelie ist zweieinhalb Jahre, plantscht im Wasser und ist ein Entchen. Später läuft sie auf allen Vieren im Kreis herum. Dann ist sie eine Katze und lässt sich immer wieder auf den Boden fallen. Später baut sie aus riesigen Klötzen einen Turm, der aber eigentlich ein Schiff ist, oder doch eher ein Stall für zwei kleine Enten. Ihrer spielerischer Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.

Voller Respekt, ja fast Neid betrachten wir Erwachsene, wie Kinder völlig aufgehen in ihrem Spiel eins werden mit ihrer Phantasie und zum Essen oder Schlafen herausgeholt werden müssen aus dieser Welt, dieser sorglosen zweiten Welt des Spiels, der Phantasie und Selbstvergessenheit.

Jedem Kind ist diese Lust zum Spiel angeboren und wird zu einer Haupttriebfeder der frühkindlichen Selbstfindung, durch die sich der junge Mensch – eben spielerisch – Welt aneignet. Sowohl die Philosophen des Altertums wie später Jacques Rousseau oder Perstalozzi haben den Wert des Spiels erkannt und zentrale Schlüsse für die Erziehung daraus gezogen, die bis heute Niederschlag finden in der modernen Pädagogik, Soziologie sowie Ludologie und immer noch Gültigkeit besitzen.




Amelie  spielt noch im ursprünglichen Sinn, denn Spielen kommt vom althochdeutschen spil, d.h. eine Tanzbewegung ausführen ohne bewussten Zweck, nur so zum Vergnügen und zur Entspannung, allein aus Freude am Moment. So, als würden der Schwere des Daseins Flügel wachsen.

Natürlich machen dies auch Erwachsene, eben nicht nur alleine, sondern auch in Gruppen, aus denen dann bestimmte Regeln hervorgehen können. Übrigens werden einfache Formen des Spielens auch bei zahlreichen Tierarten beobachtet!




Eine der anerkanntesten Definitionen zum Spiel stammt von dem niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga, der in seinem Buch „Homo ludens“ („Der Mensch als Spieler“) das Spiel als eine freiwillige Handlung von Menschen beschreibt und menschliche Kultur generell aus dem Spiel ableitet. Der Mensch erfährt beim Spiel verbunden mit festgesetzten Grenzen und Regeln eine Spannung, bei dem man ein Gefühl des „Andersseins“, einen Ausbruch aus dem „gewöhnlichen Leben“ erlebt. Das kann beim Besuch der abendlichen Tanzschule ebenso sein wie auf dem Fußballplatz, beim Tennisspiel ebenso wie beim Pokern, beim Doppelkopf ebenso wie beim Schach, beim Besuch einer Laienspiel-Theatergruppe ebenso wie bei einem Quizabend.

An diesen hier nur angedeuteten Spielarten erkennt man bereits die Vielfalt, wobei eine Einteilung am besten gelingt, wenn man Spielen in Bewegungsspiele (wie Ball-Kegel, Fangspiele usw), Ruhespiele (Karten- Gesellschafts, Brettspiele usw) und Wettkampfspiele (die ersten Olypischen Spiele in Hellas datieren auf das Jahr 776 v.Chr.) unterscheidet – und natürlich die Glückspiele, bei denen es vor allem um das Geld geht und darum, das Glück zu bezwingen, z. B. einen großen Jackpot zu knacken und so plötzlich spielerisch aller Sorgen befreit sein.

An diesem Aspekt des Spiels kann man schon gut den Spieltrieb erkennen, diesen Zwang, nächste Woche wieder Lotto zu spielen, der schnell zu einer Spielsucht mit gravierenden Folgen ausarten kann. Von einer solchen pathologischen bzw. zwanghaften Spielsucht sind in Deutschland ca. 200 000 Menschen betroffen (übrigens in der Mehrzahl Männer!), eine Krankheit, die den abnormen Gewohnheiten und Störungen zugerechnet wird.

Davon kann bei der kleinen Amelie keine Rede sein. Sie ist noch selbstversunken im freien Spiel und wird mit vier Jahren spielerisch das Nachahmen von Erwachsenen beginnen, um schließlich ab dem sechsten Lebensjahr Freude an Gruppenspielen mit verteilten Rollen wie Mutter-Kind oder Doktor Spiele zu bekommen. Das Spiel wird sich als menschliches Grundbedürfnis der Zerstreuung, Entspannung aber auch der spannungsvollen Auseinandersetzung im Wettkampf durch Amelies gesamtes Lebens ziehen, so wie sich das Spiel durch die Kulturgeschichte des Menschen von den Höhlenmalerein bis zu den Computerplattformen gezogen hat. Ob beim Mikado oder Monopoly, beim Fangspiel oder in Spielhöllen und letztendlich natürlich auch beim Liebesspiel, bei dem die kleine Amelie entstanden ist!

C Fotos/Gemälde/Text : Der Kurat/Troesser