„Wann fängt man an? Wie fängt man an? Für die meisten, für jeden ist es frustrierend, das leere Blatt anzusehen. Oder auf die Leere Leinwand zu starren“ sagt Henry Miller, einer der großen Schriftsteller des 20 Jahrhunderts, der mit Büchern wie „Plexus“, „Sexus“, „Nexus“ oder die Wendekreise (Krebs, Steinbock) zur Identifikationfigur einer gesamten Generation im Aufbruch nach dem zweiten Weltkrieg geworden war. Ein Amerikaner, dessen Werke lange in USA verboten waren und der erst spät wieder nach seiner Pariser Zeit nach Kalifornien zurückgekehrt und dort 1980 gestorben ist. 

Für jeden Menschen, der schreibt (oder malt) ist es immer eine Frage, wie kann das, was tief in ihm brodelt, nach außen, auf das Blatt gelangen. Und jeder hat hierzu vielleicht eine andere Theorie oder Methode. Grund genug, einmal bei einem kraftvollen Schriftsteller nachzufragen, wie er es mit dieser Brücke vom innen nach außen hielt, zumal er, Henry Miller, sich hier stark von anderen Schreibenden unterscheidet. „Ich habe einen Trick gefunden, den die Surrealisten entdeckt haben, und der besteht einfach, dass man hinschreibt, was einem in den Sinn kommt – Unsinn, ohne Kommas, ohne Punkte, ohne irgendeinen Aufbau, bis das, was man sagen wollte, langsam rauskommt. Dann streicht man den ganzen vorausgehenden Ausschuss“

Und dies macht er nicht bis zur Erschöpfung, wie z.B. Heinrich Mann, sondern nur so, dass „die Sache immer im Fluss“  bleibt, wobei es ihm dann erst einmal egal ist, ob er am Ziel vorbeischießt: “Bei mir kommt es hauptsächlich darauf an, dass ich eingestimmt oder eingestellt bin, geistig und seelisch in Form bin. Wenn etwas rauskommt, sollte es wie Wasser aus dem Hahn kommen“. 

Anders als ein Drehbuchautor, der sich komplex Dinge, Szenen, Geschichten zusammenbaut, sagt Miller:

“Mein Leben ist das Schreiben. Ich schreibe, das ist das Wichtige. Nicht, was ich, sondern dass ich geschrieben habe. Am wichtigsten ist der Akt selbst. Was ich sage, ist nicht so wichtig, Hauptsache, es hat mir Spaß gemacht“, sagt er und meint: „anderen Schriftstellern kommt es darauf an, zu Papier zu bringen, was sie hier oben im Kopf haben. Mir kommt es darauf an, was da unten, in der Magengrube, in den unteren Regionen ist“ . 

Daher sagt er, für ihn sei Schreiben ein Genuss, was anderen eine Qual sein kann. 

Doch ganz kann man ihm das allein emotionale Schreiben nicht abnehmen, zum einen, weil so große Romane mit verwobenen, komplexer Handlung und Charakterfiguren nicht nur durch Spontanschreiben entstehen können, zum anderen, weil auch konkrete Architekturpläne für die Entwicklung der Story, der Figuren, des Plots usw. von Miller im Nachlass existieren.

Eines der immer wiederkehrenden Aspekte seines Schreibens ist der „sinnliche Genuss, eine Erfahrung noch einmal zu erleben, vielleicht sogar einen gesteigerten Genuss. Die Erfahrung scheint verstärkt.“                     

Hier gleicht er Proust, der auch das, was er in der Erinnerung nachvollzog noch intensiver erlebte, als den damaligen Moment. Und Miller begründet das damit, dass die ursprüngliche Situation nicht von Worten begleitet war: “Man hat alles gefühlt, aber nicht ausgesprochen. Wenn man es ausspricht, kommt etwas hinzu“. Und das sind für Miller die Worte.Daher verwundert es kaum, dass er zu den Schriftstellern gehört, die erst Jahre später über etwas schreiben können. Außer dem Wendekreis des Krebses und der Koloß von Maroussi sind alle Bücher solche, bei denen er lange zurückliegende und lange gereifte Erlebnisse oder Gedanken aufleben lässt: “Je länger ich das Material mit mir herumtrage, desto mehr veredelt und verdichtet es sich“.

Er ist verrückt nach Worten, die bei ihm eine schier körperliche Empfindung wecken können: „Ich habe eine große Ehrfurcht vor dem Wort, weil dahinter etwas steckt, das ich Magie nenne. Die Entstehung des Wortes ist etwas absolut Mysteriöses“.           

Dabei geht es ihm weniger darum, welche Worte zusammengestellt sind, sondern wie sie zusammengestellt sind, was sie heraufbeschwören und nicht schlicht, was sie sagen: “Das ist die ganze Kunst des Schreibens.“

Und wo ist der Unterschied zwischen dem Schreiben mit der Maschine (damals Schreibmaschine, heute Computer) und dem Schreiben mit der Hand? Auch hierzu äußert sich Miller detailliert:  “ Wenn ich mit der Hand schreibe, bin ich aufrichtiger. Weil ich von meinem literarischen Ich wegkomme. Sobald ich an der Schreibmaschine sitze, spannen meine Finger mich schon ein, verändern mich, bringen mich in das Fahrwasser des Schriftstellers.“ Sagt er und weiter:        

“Ich drücke mich gewandter und geschliffener aus. Wenn ich mich dagegen mit dem Füllfederhalter herumschlagen muss, scheint das Material aus einer anderen Quelle zu kommen.“

Ähnliches schreibt er auch zum Briefschreiben, wobei ihm die handgeschriebene Seiten eher an ein Gespräch erinnern. 

Klare Worte findet Miller auch zur Kritik und Lektorat: “Lektoren sind mir ein Gräuel“  sagt er und hat es niemals zugelassen, dass irgendein Lektor irgendetwas an seiner Arbeit veränderte:“Ich stimme mit ihren Ansichten nicht überein und ich will es nicht hören. Ich will nichts anderes als das, was ich geschrieben habe, ob es jetzt gut oder schlecht ist. Die meisten Lektoren sind verhinderte Schriftsteller.“ 

Eine so rigorose Haltung der Korrektur und Vermarktung gegenüber kann man sich heute kaum noch vorstellen und dennoch nimmt man Miller diese harten Worte ab, solange er Schreiben als die höchste Form der Freiheit empfindet und der bei allen „Wörterexplosionen“ immer noch weiß, wann man Schluss macht: “Ich könnte ewig weiterschreiben, manchmal schließe ich ganz abrupt.“

Denkt man kurz über diese Äußerungen zum Schreiben des großen Schriftstellers Henry Miller nach, so wird deutlich, dass er – wie viele andere Künstlerinnen und Künstler bis heute auch – eine gespaltene Persönlichkeiten ist. Einerseits dem banal Diesseitigen verpflichtet (Brotberuf) und oft extrem darunter leidend, andererseits auf der Suche nach dem ganz innigen, besonderen Moment des „in sich seins“ als Voraussetzung aller Kreativität. 

Es ist eine Art Doppelleben, mit dem sich Miller ein langes Leben beschäftigt hat, nämlich der „Gleichgültigkeit gegenüber dem, was man allgemein für wichtig hält. Ich bemühe mich seit Anbeginn vom Tun zum Sein zu kommen. Mir liegt mehr daran, zu sein als zu tun. Es gibt nichts, was ich wirklich ausführen möchte, nichts hat wirklich Wert für mich“. Außer es gelangt durch die zahlreichen kleinen Wort-Brücken vom Innen nach Außen, vom Bauch zum Blatt. Und der entstandene Roman ist dann genau die Symbiose von dem, was man eigentlich nicht tun wollte (aber erlebt hat), was aber durch das SEIN des kreativen Schreibens eine unsterbliche Wortform gefunden hat.

 

Alle Zitate und Fotos aus: „Mein Leben und meine Welt – Henry Miller“, 1972 Edition Praeger GmbH München/Wien/Zürich

C Text/Grafik Michael Troesser 2017