Alltagsengel mit Kitschfaktor

Engel fliegen längst nicht mehr nur durch unsere Köpfe, Seelen oder den Himmel unserer Phantasie, sondern sie sind auch bereits schon im profanen weltweiten Netz angekommen. So verspricht eine Engelseite im Internet: 

Wahrsagen, Lebensberatung und Hellsehen, alle Engelfragen und Probleme kannst Du hier unserem Engelmedium stellen und Du bekommst zeitnah eine Antwort auf Dein Handy gesendet.“ So erfährt die trostbedürftige Seele: „Bei Problemen, Liebeskummer oder wenn Du einfach nur traurig sein solltest, hole Dir per SMS den Rat der Engel herbei! Unser Engelmedium steht Dir auch zur Verfügung, wenn Du nur wissen möchtest, wie Dein Tag werden wird, oder wenn Du einen Rat für eine kommende Entscheidung benötigst, oder wenn Du traurig sein solltest und einfach etwas liebes per SMS bekommen möchtest.“ Bei http://www.engelhaftes.de kostet jede Engelkarte 4 €, plus 1,45 € Porto, Mindestabnahme 3 Karten.

Auch seriöse und halb seriöse Einrichtungen nutzen den Glückspender als Symbol und Logo, so der „Blaue Engel“. Er ist das erste und bekannteste Umweltzeichen der Welt, jeder kennt die „Gelben Engel“ des ADAC und der Geldbedürftige findet bei „Kreditengel“ den günstigsten Kredit für himmlische Diesseitigkeit. Auch zahlreiche Wellnesszentren und Hotels tragen ihren Namen und nutzten die heilende Kraft der Himmelskörper zum profanen Wohlgefühl des geschundenen Körpers.

Engel, seit Beginn des Christentums Boten Gottes, Beschützer, Trost und Begleiter der Gläubigen, haben längst die Kirche verlassen und sind beim profanen Alltag der Menschen angekommen.

Allerdings ist für viele Gottlose die Bedeutung, die mit Engel verbunden wird, ähnlich: Sie symbolisieren Schutz (Schutzengel) und Halt, Glück und Hoffnung, Sehnsucht nach Sinn und Überwindung von Einsamkeit, Geborgenheit und spenden unkompliziert Hilfe. Sie schaffen  Wärme, Geborgenheit, Nähe. Vielleicht aber auch eine Erinnerung an die heile Welt unserer Kindheit. Sie sind Zeichen von Reinheit und Jungfräulichkeit, im Gegensatz zu den gefallenen Engeln als Inkarnation des Bösen, das sich gegen uns erhebt und seinen eigenen Weg geht, gottlos, diesseitig oder mit anderen Göttern. 

Bei diesem Auszug aus dem hohen Himmel in die Niederungen von Werbung, Konsum, Kunst und Kitsch, Esoterik und Satanismus haben die himmlischen Heerscharen ihre Flügel behalten, mit der Menschen den Traum vom Fliegen verbinden als Möglichkeit der Überwindung menschlicher Enge,Todesangst und Diesseitigkeit. Sie sind von den Lichtgestalten zur putzig prallen Putte auf dem Sims oder dem güldenen Wandspiegel mutiert. Zu hunderten stehen die oft tuntigen Industrieengel in den Souvenirläden und Dekogeschäften, als sichtbares Kleinod der Unendlichkeit. Sie zieren Engelkarten, Broschen,  t-shirts, Grabsteinen  und Schlüsselanhänger, stellen so eine Art Hosentaschenglauben dar: Ich habe mir kleines Stück Glauben erworben, an das ich glauben kann, ohne eigentlich glauben zu müssen. Auch hier funktioniert eine emotionale Bindung an ein Symbol – ein gewisser Widerspruch allerdings, da die Diesseitigkeit des Engelkultes dem Grundgedanken des Engels als Bote Gottes nicht entspricht. Streng genommen ist so die gottlose Putte ein gefallener Engel. Aber grade diese gottlose Putte dient immer noch als Schutzengel für viele

Höhepunkt des Engel-Kults findet man in Engelsdorf, einer 350 Seelengemeinde bei Köln.

Hier sind nach einem schweren Autounfall dem Sammler Fischer Engel in allen Formen, Größen und Darstellungen „zugeflogen“. Er  ist mit seinen 13000 Exponaten bereits im Guinness Buch der Rekorde gelandet. Kurioses wie etwa der mit 0,7 Millimetern kleineste Engel mit roten Haaren aus einer Puppenstube bis hin zum größten Cherubin, vier Meter hoch und sechs Zentner schwer, ein kleiner Engel mit blinkender roter Nase oder ein goldfarbener, der eine Kaminuhr umklammert und beim Ticken der Uhr ständig die Augen rollt. Es gibt Engel aus Marmor oder Stein, Holz, Plastik, Gummi, Messing, Ton, Stahl, Bast, Papier, Knete, Weidengeflecht, Wachs und Pappmachee, Knochen oder Elfenbein. Auf vier Quadratmetern tummeln sich 1000 Engel um eine Krippe und die Gemeinde erhält im Jahr über 70 000 Briefe an die Engelein.

Allerdings werden die diesseitigen Engel von  allem Schützen und Heilen auch einmal müde, wie ein Engelfreund schreibt :

Manchmal weinen auch die Engel, und die Flügel werden schwer. So viel Leid ist zu verhindern, oftmals können sie nicht mehr!“

Dann lassen sie die Flügel hängen und sind froh, dass sie auf dem Sims stehen können.

C Text/Bild/Foto(Cirque de Soleil)  Michael Troesser