Da liegt er. Dunkelblau, genau in meiner Größe, den ich schon lange suche. Aber er liegt nicht im Schaufenster des edlen Textilgeschäftes,  nicht bei Amazon oder eBay, er liegt ganz unspektakulär auf dem Tapeziertisch beim Trödelmarkt.  Ich sehe mir die Verkäuferin an, fühle den Stoff, inspiziere den Pulli von allen Seiten und frage schließlich freundlich nach dem Preis.“10 Euro“ sagt die Hobbyverkäuferin knapp: “Kaum getragen. Gehört meinem Mann. Dem steht dunkelblau nicht“. Als alter Schnäppchenjäger frage ich ebenso knapp: “Acht?“. Nach einem Seitenblick zu dem Mann, dem kein Blau steht, erwidert sie: “Okay. Tüte?“.  So erstehe ich das Modell mit Tüte, bin froh hierfür nur zehn Prozent des Ladenpreises bezahlt zu haben und eine gute Tat, denn so landet das gute Stück nicht im Müll sondern in meiner Pulloverkommode.

Und jedem, dem jetzt die Nackenhaare hochstehen, weil sie denken, Flohmarkt ja, „getragene“ Klamotten geht gar nicht, dem sei gesagt, auch Sie schlafen in Hotels eingewickelt in „geschlafenen“ Betttüchern und Kissen, trockenen sich mit schon benutzen  Tüchern in fremden Toiletten ab, ziehen getragene Bademäntel an und und. Warum also nicht auch einen getragenen, gewaschenen Pulli, der sich kaum von dem aus dem Schaufenster unterscheidet?

Vielleicht kommt ja bei vielen die Ablehnung durch das Wort Floh zustande. Denn zu Beginn dieser Gebrauchtwarenmärkte verkauften die edlen Fürsten ihre getragen Reichtümer den armen Leuten und schon manches Mal wechselte so auch dieser oder jener Floh seinen Besitzer. Doch aus der Schmuddelecke für Arme hat sie der heutige Trödelmarkt längst emanzipiert und ist zu einer immer weiter wachsenden Bewegung geworden,  von der über zwei Millionen Menschen auf ca. 40 000 Flohmärkten und Sammler- und Antiquitätenbörsen in Deutschland leben . 44 Prozent der Bundesbürger besuchen zumindest ein Mal im Jahr einen Flohmarkt , private Märkte wie Kinderkleiderbörsen der Kindergärten oder Hinterhof- und Garagenmärkte nicht einmal eingerechnet (Quelle: Fachzeitschrift „Trödel“).“ Flohmärkte haben eine große gesellschaftliche Bedeutung. Überdurchschnittlich viele Flohmarktgänger sind höher gebildet, westdeutsch, weiblich und zwischen 20 und 40 Jahre alt. Der Wunsch, häufiger einen Flohmarkt zu besuchen, ist recht groß: Mehr als jeder Vierte würde gerne häufiger seine Freizeit dort verbringen.“(Quelle: Professor Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen).

Der  Recyclingansatz der 70er Jahre, die Dinge ökologisch wiederzuverwerten und so in den Kreislauf einer Konsumgesellschaft zurückzuführen, scheint eher sekundär. Auch den finanziellen Grund, um damit reich zu werden oder seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, mag es zwar geben, ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen auch nicht das Hauptmotiv. Viel eher scheint es eine Freude zu sein, sich in einer digitalisierten Welt, in der viele, vor allem auch gebrauchte Gegenstände fast nur noch abfotografiert um auf entsprechenden Plattformen für Gebrauchtes  im Netz dargestellt zu werden, die Dinge dieser Welt und der Wohnzimmer oder Keller wieder haptisch begreifen zu können. So kann neben der Lust der direkten Kommunikation, dem Sammeltrieb und der Überraschung, denn man weiß ja vorher nie, was man später mit nach Hause bringt, durch die Dinge dieser Welt ein individueller Lifestyle fern ab von den überfüllten Einheitsmoden der professionellen Kaufszene verwirklicht werden. All dies zusammen kann dazu führen, dass viele ein Glücksgefühl spüren, wenn sie etwas erstanden oder verkauft haben. So wie die Frau, die meint, dass ihrem Mann blau nicht steht und froh ist, dass dieses ungeliebte Stück für 8 Euro endlich weg ist ebenso wie derjenige, der sich mit dem Pulli einen lang ersehnten  Wunsch erfüllen konntet.  Oder nur einen schönen Nachmittag unter Leuten verbracht zu haben, bei dem die Augen und Sinne durch viele interessante Dinge verwöhnt wurden. Und all dies wird auch in Zukunft kein Netz der Welt ablösen oder zerstören können.

C Fotos & Text Michael Troesser 2018