„Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist. Das ist alles, was sie hört. Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist, wenn sie ihr in den Magen fährt“. Das Mädchen in Herbert Grönemeyers wundervollem, lyrischem Lied ist taub. Sie weiß nicht, dass der Schnee lautlos auf den Boden fällt, hört nicht das Klopfen an der Wand, es ist niemand da, der mit ihr spricht. Sie träumt von einem „Bassmann“, der sie liebt. Das Mädchen rührt uns in ihrer geräuschlosen Einsamkeit. Wir versuchen, uns in ihre Welt zu versetzen und merken, wie schwer es uns fällt, diese Form von Leben als nicht bedrückend zu empfinden.
Überhaupt wird in der Sprache „Stille“ meist negativ beschrieben, als „Stillstand, Stilllegung, Windstille, Stillschweigen“ bis hin zur „Totenstille“, „Grabesstille“ oder „In aller Stille“. Neben der „Angst vor Stille“ haben wir gleichzeitig aber auch eine tiefe Sehnsucht nach Stille. So gibt es einen Wunsch nach spiritueller Stille in allen Religionen. Für viele Menschen ermöglicht erst die stille Begegnung mit sich selbst auch eine Begegnung mit Gott. Und das tiefste Gebet braucht ebenso wenig lautstarke Worte, wie die Liebe.
Auch der eigentliche kreative Schaffensakt gelingt nur dann, wenn man sich einlässt auf die „innere Ruhe“ seiner selbst. Erst wenn es gelingt, ganz bei sich zu sein, kann sich „Ich schreibe“ zum „Es schreibt mich“, kann sich „Ich komponiere“ zum „Es komponiert mich“ oder vom „Ich male“ zum „Es malt mich“ werden. Hier steht Stille für Innovation und Kunst.
Und auch im Sozialen und Zwischenmenschlichen sagt eine ruhige Geste mehr als tausend Worte, und ein stilles Dasein ist für den Kranken oder Sterbenden wichtiger als wehleidiges Klagen.
Doch wir leben in einer aufgeregten Zeit, in der sich Bedeutung oft erst durch den lautesten Schrei erschließt. In dieser Welt ist die Pause Langeweile, die „überbrückt“ werden muss, ist die „Stille“ meist „Stillstand“ und die „Ruhe“ meist Ruhe vor dem Ansturm der Massen auf die Kaufhäuser, in denen uns ständige Hintergrundmusik zum Kauf anregen soll.
Wer sich dem ruhelosen Treiben widersetzt, wer sich Zeit lässt, um in aller Ruhe im Fastfoodlokal zu essen, ist verdächtig. Die Welt ist so laut geworden, dass man selbst das Dröhnen der Flugzeuge und Hupen der Autos nicht mehr hört. Für diejenigen aber, die diesen Sturm der Geräusche nicht aushalten, die bedauern, dass man Ohren nicht schließen kann wie den Mund, für all diejenigen, die sich sehnen nach einer Insel der Ruhe sind die „Räume der Stille“ gedacht, wie z.B. am Brandenburger Tor in Berlin oder im Düsseldorfer Hauptbahnhof. Hier kann man sich Zeit für die Zeit lassen, bis schließlich die Seele wieder zu sich kommt, um gestärkt hinaus zu gehen in die Welt voller Lieder, Töne, zwitschernder Vögel und leise plätschernder Regentropfen. Aber auch in die Welt voller Getöse und lauter Rastlosigkeit.
Ruhe und Lärm, Stille und Getöse – alles bedingt einander wie zwei Seiten einer Wahrnehmungsmedaille. Erst wenn es gelingt, beides für einen selbst in einen „Ein-Klang“ zu bringen, kann die ganze Fülle und Bandbreite von Welt erlebt werden. Und an dieser Stelle hoffen wir, dass es dem erträumten Bassmann von Grönemeyers tauben Mädchen gelingt, ihr seine Liebe durch die tiefen Töne seines Instrumentes zu zeigen, auch ohne zärtlich romantisches Geflüster an ihrem Ohr.