Ich mag Radio. Und bin auch verführbar. Zum Beispiel von einem Kino-Trailer, den ich beim Kinofilm: „Willkommen bei den Hartmanns“, sah und mir nicht mehr aus dem Sinn ging: „Radio/Heimat“. Beides Begriffe, die mich interessieren und dann dazu die Bilder von früher aus dem Ruhrgebiet, so eine Alltagsgeschichte aus der Gegend macht neugierig. Ist immer gut, vor allem für das Frühergefühl. Wie alles geschah, wie alles war, als es war. Aber keiner schien die Verführung zu teilen, und so ging ich notgedrungen alleine ins Ratinger Kino.
Es begann schon damit, dass wieder eine lange Schlange im Vorraum stand und ich dachte: Siehst du, gut, dass Du so früh gegangen bist. So attraktiv ist der Film also. Als er dann allerdings in dem vollbesetzten Kino saß und den gleichen Radio/Heimat Trailer noch einmal sah, stutzte ich und dachte: Das kann nicht sein. Ein Trailer für den Film, der grade läuft. Ich glaub, ich bin im falschen Film. Genau so war es. Meine Kinosesselnachbarin klärte mich auf und flüsterte: „Der Film heißt Willkommen bei den Hartmanns“, den ich ja schon gesehen hatte. Es war mir zwar peinlich und noch nie passiert, aber ich verließ den dunklen Kinosaal und merkte draußen, dass mir die Kassiererin aus Versehen die falsche Karte gegeben hatte. Blau statt rot. „Radio/Heimat“ lief im blauen Saal, wenn man von Saal überhaupt sprechen kann. Der Film hatte noch nicht angefangen und es waren genau 5 Zuschauerinnen im ganzen Raum verteilt. Eine mit einer Weinflasche. Das hätte einem vielleicht zu denken geben sollen. Vielleicht brauchte man auch den Wein für das, was dann kam: Der ganze Film besteht aus einem Geschichtenerzähler aus dem off, der einen von einen kurzen Trailer-Events zum anderen Trailern führt. Also die Aneinanderreihung von slapstickartigen kurzen Episoden. Wie kleine Szenen an einer ganzen Wäscheleine des Erzählers im Hintergrund.
Die vier auf auf Vintage verkleideten Jünglinge spielen wie in einer Laienspielgruppe der Oberstufe. Die Dialoge der Pubertätsbande wirken so auswendiggelernt, als wären die Jungen bei der Aufnahmeprüfung bei einer Dorf-Schauspielschule. Und die paar Schauspieler wie Elke Heidenreich oder Heinz Hoenig kommen nur eine kleine Episode lang sehr kurz vor. Hat man sie in der 80er Jahre Maske erkannt, sind sie auch schon wieder weg und tauchten nicht mehr auf.
Die Geschichte ist eigentlich keine Geschichte, sondern sie will die Geschichte der 80er Jahre aufleben lassen, was aber nur schwer gelingt. Der Film versucht, den Roman von Frank Goosen in Film zu transferieren : Tanzschule, Mädchen, erste Liebe, Saufen, immer wieder saufen und der ellenlange Plot auf der Klassenfahrt sind derart überzeichnet, dass man am liebsten abschalten würde. Wenn es denn ein Fernseher wäre.
Und genau da streikten mir immer wieder und immer mehr die Augen und fielen einfach zu. Das ist im Kino noch nie passiert. Ein weiterer Grund hierfür waren dieses ständigen Brechungen der filmischen Illusion (Übrigens von Ervin Goffman als „,Downkeying“ bezeichnet) . Das heißt konkret: Die smarten Jünglinge drehen sich plötzlich zum Zuschauer im Kinosaal und erklären sich. Beispiel: Er steht vor seiner Angebeteten (die Eltern sind grade natürlich weg) im Mädchenzimmer und will sie zum ersten Mal küssen, da dreht er sich zum Publikum und erklärt sich selbst („Eigentlich kann ich nicht“). So etwas kann deshalb für einen Spielfilm tödlich sein, weil man immer wieder aus der Handlung rausgerissen wird. Ein guter Schauspieler spielt so, dass der Zuschauer sieht, was er sagt, denkt, fühlt und muss sich nicht erklären.
Und was das Ganze mit dem Radio zu tun hat, bleibt auch bis zum Schluss offen bis auf die Tatsache, dass ein paar Mal alte Radios an- und ausgeschaltet werden.
Es gibt selten Filme im Kino, bei denen man schon nach der Hälfte denkt, wann ist er endlich zuende. Da ist jede Dokumentation im Fernsehen über die 80er Jahre im Ruhrgebiet besser, authentischer als dieser gut gemeinte aber schlecht gemachte Streifen Vergangenheit. Ihn kann man sich sparen. Das Geld auch. Verführung leider fehlgeschlagen.
C Bild&Text Michael Troesser