Auch wenn Sie in einer glücklichen Ehe leben und die Liebe zu Ihrem Partner oder Partnerin das Schönste und Wichtigste ist, kann das Buch interessant für Sie sein, erfährt man doch sehr viel über Liebe und Ehe, Zuneigung und Freundschaft, Zweckgemeinschaft und Alltagsroutine, über das man sich in dieser Form bisher wenig Gedanken gemacht hatte. Gedacht ist das Buch allerdings vor allem für diejenigen, die doch einige Probleme damit haben, Ehe und Liebe über eine lange Dauer so zu koppeln, dass Glück dadurch entsteht und die hohen Erwartungen des Anfangs nur schwer über eine lange Dauer aufrecht zu erhalten sind. Denn, so eine der zentralen Thesen des Buches, ist, dass Liebe und Ehe es schwer miteinander haben: “Da soll zusammenkommen, was nicht zusammenpasst“ .
Und der Autor muss es wissen. Er ist als Arzt und Psychologe seit vielen Jahren einer der anerkanntesten Paartherapeuten in Deutschland, lehrt an der Universität Heidelberg und hat in seiner Praxis unzählige Paare auf ihrem Weg durch die Höhen und Tiefen von Liebe und Hass, Trennung und Versöhnung begleitet. Immer wieder werden seine Überlegungen für den Leser unterstützt von praktischen Geschichten aus dem Leben dieser Paare. Er weist im Vorwort darauf hin, dass es – neben den Katastrophen und Krisen, doch auch viel Positives zu berichten gibt: “Solche Erfolgsgeschichten gibt es tatsächlich und häufiger, als man denkt“. Er weiß darüber hinaus auch selbst gut, worüber er schreibt: “Da ist meine Erfahrung als Ehemann. Es ließ sich gar nicht vermeiden, im Rahmen von zweiundzwanzig Ehejahren – sozusagen im Selbstversuch – einschlägige Erfahrungen zu sammeln. Es sind persönliche Erfahrungen sowohl von Erwartungsentäuschungen als auch Erfahrungen erfolgreicher Vernunft!“
Ob nun mit oder ohne Ehe und Liebe, man wir förmlich hineingezogen in das Buch, weil es dem Autor gelingt, tiefgreifende, hintergründige Gedanken zum Thema zu koppeln mit ganz alltagspraktischen Dingen, die dem Leser und der Leserin immer wieder das Gefühl erzeugen : Genau! Oder: Bei uns auch! (Beispiel: “Du bist ja in Wirklichkeit gar nicht zornig mit mir. Im Grunde bist Du immer noch zornig auf Deinen Vater und lässt es nun an mir aus.“ Wer kennt das nicht?!)
All das in einer so lockeren Art und Weise erzählt, wie es nur einem Wissenschaftler gelingt, dem es an dem Menschen und nicht an der Wissenschaft als Wissenschaft allein gelegen ist. Das macht den Autor so glaubhaft, zumal es in dem Buch nicht nur beim Abarbeiten der theoretischen Gedanken bleibt, sondern er auch Fragebögen einbaut, mit praktischen Tipps zur Umsetzung. Zum Beispiel. „Bleiben oder gehen: Die schwere Suche nach den Antworten“ (10 konkrete Fragen und Antworten) oder „Sich vernünftig trennen: Eine Gebrauchsanleitung“ (10 Fragen und Antworten).
Er würde an dieser Stelle zu weit führen, alle Aspekte dieses Komplexen Zusammenspiels von Ehe und Zweck, Liebe und Glück darzustellen, daher hier nur einige (z.T. sehr kreative) Überschriften, die schon aufzeigen, wie vielseitig Retzer das Thema umkreist.
So geht es um die „Unvereinbarkeit von Liebe und Leben“ und „Sieben Vorschläge, wie man seine Ehe zum Scheitern bringt“. Oder das Thema: “Wie Problem? – Du bist das Problem! Lösbare Probleme und problematische Lösungen in der Ehe“. Für ihn ist „Jede Ehegeschichte eine erfundene Geschichte“ und er plädiert wegen der Unvereinbarkeit von Liebe und Ehe für die Freundschaft („Freunde sollt ihr sein – nur, was ist Freundschaft?„) Neben den „positive Illusionen in der Ehe“(„Bei mir biste scheen“) plädiert Retzer in einem ausführlichen Kapitel für Lachen und dem Humor in der Ehe („Lust besiegt Realität“). Natürlich kommen auch die dunklen Seiten der Ehe nicht zu kurz („Wer sich nahekommt, kommt sich ins Gehege – Eheliche Kampfkunst und ihre Regeln“ oder „Vernünftig Schluss machen“.)
Ist man schließlich am Ende des Buches angekommen und sich fragt, ob auf dem Hintergrund all dieser Unvereinbarkeiten die Ehe nun der „Himmel“ oder die „Hölle“ auf Erden ist, spendet der Autor Trost und lässt uns nicht alleine mit unseren traurigen Gedanken der Unvollkommenheit: “Aufgrund der Kürze unseres Lebens können wir es uns gar nicht leisten, das Unvollkommene auszuschlagen. Das Kunststück und die Vernunft bestehen denn auch in der Annahme der Unvollkommenheit unserer Ehen. Die Vernunft sagt uns, wir mögen uns in unserer Begrenztheit mit dem „Gut genug“, statt dem „Besten“ zufriedengeben. Und dabei müssen wir gar nicht unzufrieden sein“.
Unter diesem Aspekt findet man sie plötzlich gar nicht so schlimm, die Vernunftehe: “Wir können dadurch der Illusion entgehen, uns den Himmel der Möglichkeiten auf die Erde und in unser Eheleben bringen zu können. Wir können dadurch aber der Befürchtung vorbeugen, unser Eheleben könnte die Hölle auf Erden sein“.
So gibt der Autor zum Schluss den Rat, man solle die Ehe weder als Himmel, noch als Hölle ansehen, sondern als „realistischen Versuch auf Erden zu begreifen, das an erfüllter intimer Gemeinschaft zu erreichen, was und vielleicht besser bekommt als das Alleinsein. Was kann vernünftiger sein?“
Dann legt man das Buch weg, geht zu seinem Partner, zur Partnerin, schaut sie oder ihn zärtlich an und denkt: Das soll schon alles sein, diese Vernunft gegen das Alleinsein, dieses Mittelmaß, dieses besser als gar nichts – unsere Ehe als realistischer Versuch? Alltägliche Ratio gegen den Eros des gemeinsamen Momentes? Muss es da nicht noch etwas geben, macht die Liebe nicht genau das aus, eben nicht verschlissen zu werden zwischen Alltag und dem Flow der Gemeinsamkeit? Doch genau um das geht es in dem Buch. Jeder muss sich nun selbst fragen, ob ihm das gelungen ist: Dieses Spagat zwischen der Unendlichkeit des Anspruchs und der Banalität das Alltäglichen. Um diese Frage zu beantworten, kann das Buch guter Ratgeber sein.
C Text und Bild Michael Troesser / weitere Bilder Arnold Retzer