Barbara Ming las in der Kulturkneipe Ratingen

 

Die Ratinger Autorin Barbara Ming weiß wovon sie spricht, wenn sie liest was sie schreibt. Unter dem Motto: „Erinnern, neu entdecken, Gedanken nachhängen“ klingt alles so authentisch, voller Humor und manchmal Tiefsinn, dass man einfach nicht weghören kann. Das gilt besonders natürlich für diejenigen, die in Ratingen die Orte kennen, die sie herrlich kolportiert und man denkt: genau, das hab ich auch schon so oder ähnlich erlebt.

Beispiel: Die verlängerte Rotzeit an der Ampel Gerhard-/Düsseldorferstraße in Ratingen, weil man dort auf eine Straßenbahn warten muss. Wie oft hat man sich darüber selbst schon geärgert. Sie beschreibt ausführlich ihr Gefühl dabei und vor allem den Menschen im nebenstehenden Auto, den sie heimlich beobachtet und zu neuen Erkenntnissen über den Alltag und des Homo sapiens an sich führt. Ja, es sind die kleinen Dinge der Alltagskultur, die oft große Wirkung haben und denen Ming genügend Raum gibt. Sie ist erste Vorsitzende des  ERA Vereins für Literatur in Ratingen, der 1987 ins Leben gerufen wurde, und hat in dem Zusammenhang schon mehrere Bücher herausgegeben. Ihr neuer kleiner Band : “Verlängerte Rotzeit“ zeigt einmal mehr ihren scharfen, oft humorvollen Blick auf die Welt, diese virtuose Kopplung von Wortwitz, Ironie und Nachdenklichkeit.

Sie beginnt ihre Lesung „Von Hinten“, das heißt bei den Beobachtungen aus ihrem Elternhaus, ihrer Kindheit, womit sie treffsicher den Nerv der meist älteren Zuhörer und Zuhörerinnen trifft, denn vieles davon ruft Erinnerungen wach. Man fühlt sich zurückversetzt in die „gute alte Zeit“, wenn sie als Kind bei Peter Frankenfeld heimlich in der Küche den Ananassaft aus der Konserve leckt, während die „Spargelstangen in Schinkenröllchen meist der Knaller auf jedem Nierentisch waren“. Oder wenn es bei „Windbeuteln stürmisch“ wurde.

Wunderbar auch die Beschreibung kleiner Zauberheftchen für Kinder aus den 50er Jahren, in denen man durch drei verschiedene Schiebungen immer neue Menschen erzeugen konnte, z.B. den Kopf eines Kochs mit dem Körper eines Königs, der eine bayrische Lederhose trägt. Da kam so manches Nicken bei den belustigt lauschenden Gästen auf.

Sie lässt die alte Sprache wieder aufleben und es interessiert sie die „Bohne, was alles auf den Sticks und Speicherkarten gespeichert ist, ich weigere mich, irgendwelche Bilddateien aufzurufen, sondern bestehe darauf mein durch und durch stoffliches Fotoalbum zu öffnen“.  Als sie das nostalgische dann Buch öffnet, sind  alle Bilder rot geworden „Wie ein Mehl aus zerriebenem Rost“. Bei so viel Nostalgie denkt allerdings auch der bereits in die Jahre gekommene Zuhörer, ob die Autorin vor lauter Sehnsucht nach früher überhaupt schon im Heute angekommen ist.

Allerdings lassen einen die kurzen Beobachtungen und kleinen szenischen Darstellungen die massive Rückbesinnung vergessen. Z.B. die Geschichte vom Kuckuck, den ihr früherer langjähriger ungarischer Ehemann immer Kackuck nannte. Daraus spinnt sie eine humorvolle Geschichte, in der sie durch kreative Wortdrehungen und inhaltlich interessanter Bezüge vom Kuckucksei im fremden Nest bis hin zum Kuckuck  auf den Möbeln, wenn man sie nicht bezahlen kann, die ganze Bandbreite darstellt. Viele  kreativ, witzige Wortkunstwerke bleiben einem im Kopf, wie z.B. „Vögel mit Migrationshintergrund“ ,„Jesus als abgehangenes Fleisch am Kreuz“ oder „Eine Gesellschaft, die fast fanatisch auf Gesundheit versessen ist und doch gleichzeitig alles tut, um chronisch krank und adipös zu werden“.

Am Ende, wenn auch das Thema Liebe und Beziehung in gewohnt geistreicher Form vorgetragen waren, wurde es dann doch sehr nachdenklich und poetisch, als sie zwei Gedichte zweimal vorlas, damit die Gäste sie richtig verstehen. Hier bleibt einem die weibliche Haubentaucherin haften, die vor ihrem Partner in den See abtaucht, um dann wieder aufzutauchen.

Dieses neue kleine Buch der erfahrenen Autorin wird man sicher immer wieder aus dem Bücherschrank hervorholen, um sich von den kleinen und großen Dingen des Alltags verzaubern zu lassen, auch wenn der Titel Rotzeit nicht unbedingt die ganze Bandbreite des Textes abdeckt und einen eher auf die falsche Fährte führt.

Verzaubert wurde man an diesem kurzweiligen Nachmittag aber vor allem auch durch die  beiden Musiker, die Sängerin Karin Velinova, die leise aber professionell begleitet wurde von Michael Bulcik an der Gitarre. Die Musikerin, selbst ausgebildete Sängerin und inzwischen im Schuldienst tätigt, hat eine solche Stimmgewalt vor allem in den Höhen, die einem Gänsehaut hervorruft.  Die Lieder von klassischen Stücken bis hin zu modernen Songs waren sehr gut ausgewählt und haben die Texte optimal ergänz – ein Gesamterlebnis für die cirka 50 Gäste.

Fazit : Ein Nachmittag, der sich gelohnt hat, ein Buch, das man lesen sollte, wenn man zu der Zielgruppe gehört mit einer Sängerin, von der man hören wird. Unbedingte Empfehlung.

C Fotos&Text Michael Troesser 2018

Kategorien: BücherKunstMenschen