Kunstaustellung im HaarTiste in der Altstadt Düsseldorf

Der alljährliche Rundgang in der Kunstakademie Düsseldorf ist immer eine Herausforderung, Erlebnis, Anregung oder hinlässt einen zum Teil ratlos.

Verlässt man dann erfüllt, verwirrt oder überwältigt von derart innovativem Kunsterleben die hohen Hallen und schlängelt sich am Haupteingang der Akademie durch die vielen jungen Kunstbeflissenen in das befreiend Freie, so stößt man unweigerlich auf die „Tube“ – für jeden Künstler oder Hobbymaler ein sicherer Ort, sich hochwertiges Malmaterial zu besorgen.

An dem Abend allerding wurden die Augen unweigerlich auf die andere Straßenseite gelenkt, nämlich auf die hell erleuchtete Galerie gegenüber, wo man durch die Schaufenster  den Beginn einer Vernissage sehen konnte. Bei näherem Hinsehen allerdings machten einige Stühle stutzig, die mit kurzem Abstand in Reih und Glied vor Spiegeln nebeneinander standen. Ebenso zahlreiche z.T. großformatige Bilder, die sich zwischen diesen Sitzgelegenheiten spiegelten. Bald wurde einem klar: Dieser schöne, hell erleuchtete Raum ist keine Galerie, sondern ein Friseursalon. Hier begann grade die Eröffnung der Ausstellung des Ratinger Males Dr. Helmut Brinkmann mit dem für einen Friseursalon treffenden Titel: “Zwischen den Stühlen“.

Wie aber kommt ein Ratinger Maler dazu, in einem Haarsalon mitten in der Düsseldorfer Altstadt im Schatten der Kunstakademie auszustellen? Die Geschichte ist schnell erzählt. Er kaufte eines Tages in der besagten „Tube“ sein Malmaterial, als er den Schriftzug Haartiste gegenüber entdeckte , dem Friseursalon, in dem damals schon Bilder ausgestellt wurden.

Neugierig trat er ein und als die charmante, französische Besitzerin des Salon seine Haare so vorzüglich schnitt und die Chemie stimmte war ihm klar: Hier würde und wollte er auch ausstellen. 

Das Ganze ist inzwischen Jahre her und Brinkmann hat hier seither 6 Ausstellungen mit Erfolg veranstaltet. Und was reizt eine französische Coiffeuse aus Bordeaux in Deutschland in der Altstadt einen Salon zu eröffnen? Solange Caillau sagt dazu: “Ich bin seit 18 Jahren selbständig in meinem schönen Ladenlokal an der Kunstakademie. Die Lage auf der Kunstachse von Düsseldorf hat mich bei der Namensgebung HaarTiste inspiriert, und es bietet sich dann natürlich auch an, die Atmosphäre der Räume durch wechselnde Kunstausstellungen zu bereichern.“

Und tatsächlich, mit der Idee bereichert sie nicht nur die Atmosphäre in ihrem Salon, sondern als Haarkunstgalerie auch die Kunstachse der Stadt generell. Eine wunderbare Kombination im Schatten der großen Akademie, beständig über fast zwei Jahrzehnte. Hier können nun Augen und Haare verwöhnt werden gleichermaßen.

Die Bilder des Künstlers Brinkmann haben allerding weniger mit einem konkreten Friseursalon und seinen professionellen Sitzgelegenheiten zu tun, sondern es geht um die Redensart „Zwischen den Stühlen sitzen“, also sich im Interessenkonflikt befinden zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten, bevor man sich letztendlich entscheidet. (Die Redensart kommt übrigens aus der mittelalterlichen Minnelyrik. Dort beschrieb sie sinnbildlich die Lage eines Mannes, der sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss, der dadurch allerdings bei keiner der beiden zu seinem Ziel kommt).

Bis auf wenige Ausnahmen sind Frauen in Kombinationen mit einem Tier das zentralen Motiv der Bilder. So einem blauen Kleid, um das sich zwei bunte Papageien ranken oder eine Säbelantilope, die auf dem schönen Faltenwurf eines grünen Kleides reitet.

Vor allem aber der Tiger, der einen Ball zwischen den Tatzen hält. Ihm gegenüber eine Frau in rotem Kleid, die das Tier mit strenger Handgeste apportieren lässt, man als Betrachter aber nicht weiß: Wird der Tiger gehorchen oder mit dem Ball spielerisch bzw. bedroht weglaufen? Oder wird er die Frau selbst bedrohen? Wieder muss man sich entscheiden, wie man die Geschichte weiterdenkt.

Brinkmann selbst gibt zu den Bildern seine Sichtweise und Motiv folgende Erklärung: „Die Tiere auf den Bildern versuchen vergeblich, Blickkontakt zu den Menschen herzustellen. Der Mensch sitzt „quasi“ mit seiner sogenannten Tierliebe und dem Fleischgenuss Dank Massentierhaltung zwischen den Stühlen. Einerseits begeistert er sich für Exoten, andererseits vernichtet er ihren Lebensraum. Die Ausstellung wurde dahingehend kuratiert, dass wunderschöne, exotische Tiere zwischen Bildern, die chaotisch angeordnete Tische und Stühle zeigen, angeordnet sind.“

Ein Markenzeichen des Künstlers ist die Spannung zwischen fast fotorealistischen Elementen (z.B. Kleider, Tiere) surreal in Szene gesetzt. Und vor allem: Reduziert meist auf textile Gegenstände wie Kleider, wallende Faltenwürfe auf weißer Leinwand, was den einzelnen Gegenständen eine besondere, fast schwebende Strahlkraft gibt. Die Kleidung steht hier stellvertretend für die Menschen selbst, deren Köpfe oder Glieder der Betrachter ergänzen muss. Dies macht jeder auf seine eigene Weise, seinen eigenen Träumen, Ideen, Phantasien und Kopfbildern entsprechend und so wird jeder durch diese Ergänzungsleistungen Teil des Kunstwerks selbst. Oder andersherum: Jedes Kunstwerk ist in Wirklichkeit eine unendliche Zahl von Möglichkeiten. Diese Interaktion zwischen Bild und Betrachter macht vor allem surreal gebrochene Bilder aus. Dadurch ist die von Brinkmann vorgeschlagene Interpretation oder Erklärung nur eine Möglichkeit der Auslegung.

Genau mit diesem Gefühl der unterschiedlichen Sehweisen entlässt einen die Ausstellung in die abendliche Altstadt, während die Bilder und Geschichten noch lange in einem nachhallen. Gratulation und noch viel Erfolg dem Zahnarzt und der Coiffeuse für diese gelungene Kooperation und Kombination von Haar und Zahn, Schere und Pinsel, Tier und Mensch, zwischen Salon und Galerie oder nur schlicht: Zwischen den Stühlen.

(siehe auch http://troesser-art.de/?p=6508 )

Copyright Bilder/Text Michael Troesser

Kategorien: KunstMenschen